KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2021
21 01 / 2021 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ Letztes Jahr kamen folgende Themen zur Sprache und ergaben spannende Diskussionen: ■ Was bedeutet es, wenn das «Kindeswohl» im Zen- trum steht? ■ Unterscheidung der Werte: Gutes tun – nicht schaden ■ Rationalisierung/Rationierung ■ Autonomie und Urteilsfähigkeit im Kindesalter und Jugendalter Besonders wertvoll war, dass sich die Perspektivenvari- anz durch die Teilnahme der verschiedenen Berufsgrup- pen und Hierarchien erweitert hat. Zum Beispiel die un- terschiedliche Perspektive einer Rationierung oder Rationalisierung aus Sicht der Pflegedirektorin, der lei- tenden Ärztin oder dem Fa-Ge-Studierenden. Hörsaalveranstaltungen In regelmässigen Abständen werden im Hörsaal ethisch relevante Themen besprochen und zur Diskussion ge- stellt. Ein zentrales Anliegen in der Themenwahl ist das Kindeswohl und die Rolle der Eltern in der Entschei- dungsfindung. An konkreten Beispielen wird reflektiert und die unterschiedlichen Perspektiven werden sicht- bar gemacht. In diesem Gremium werden zudem vom KomEth (mit)erarbeitete Leitlinien, wie zum Beispiel Sorg- faltskriterien, Behandlungsvereinbarungen und Reanima- tionsleitlinien vorgestellt, und es wird die Möglichkeit zur Meinungsbildung und zu Stellungnahmen gegeben. Kaderanlass Der jährliche Kaderanlass gibt den Kadermitarbeitenden aller Berufsgruppen die Möglichkeit, in der Rolle als lei- tende Personen die Werte und Normen ihrer Tätigkeiten zu reflektieren. Aktuelle Themen werden als Input – oft von externen Fachpersonen – präsentiert, anschliessend wird gemeinsam das Gehörte reflektiert und sich kritisch mit den eigenen Normen und Werten auseinanderge- setzt. Im Jahr 2020 wurde das Thema der Lebensqualität aus der Sicht einer Philosophin und der empirischen For- schung beleuchtet und anschliessend diskutiert. Ethische Fallbesprechungen mit Moderation Alle Patienten sind fiktiv, bilden die Realität jedoch realistisch ab Das ethische Gespräch Dies ist ein durch ein Mitglied des KomEths moderiertes Gespräch, das ein Behandlungsteam in Bezug auf eine formulierte Problematik, ein Dilemma, darin unterstützt, eine Entscheidung zu fällen. Anhand eines strukturier- ten Gesprächsleitfadens wird die Situation analysiert, reflektiert, und es werden mehrere Handlungsoptionen gesucht. Dies ermöglicht eine argumentativ hergeleite- te Entscheidungsfindung. Die Entscheidungen werden durch das möglichst interdisziplinäre und multiprofessi- onelle Team selbst gefällt und ausgeführt. Beispiel aus dem Klinikalltag: Der 15-jährige Knabe B. hat eine progrediente neurologische Erkrankung mit kleinhirnbetonter, progressiver Hirnatrophie und ausge- prägten extrapyramidalen Bewegungsstörung mit Tre- mor und Myoklonien. Trotz medikamentösen Therapien ist der gesamte Muskeltonus erhöht, besonders in den Extremitäten. Es bestehen folgende Probleme: ■ Er hat nahezu konstante, unwillkürliche Bewegun- gen mit Myoklonien ■ Das Schlafverhalten hat sich stark verschlechtert ■ Die Eltern teilen sich die Betreuung von B. schicht- weise. Die Mutter übernimmt immer die Nacht- schicht ab 23.00 Uhr und kommt deshalb kaum zum Schlafen. Formulierung des ethischen Dilemmas Autonomie von B. versus Entlastung der Mutter ■ B. macht deutlich, dass er Entlastungsangebote nicht annehmen möchte. Für die Mutter wäre eine Entlas- tung aber sehr wichtig, um eine Dekompensation zu verhindern. ■ Wie viel Behandlung, Therapie und Entlastung kann/ soll B. beziehungsweise der Mutter zugemutet oder gar aufgezwungen werden? Güterabwägung/Therapieoptionen ■ B. hat an den bisherigen medizinischen Gesprächen teilgenommen. Ihm wurde seine Erkrankung erklärt und es wurde ihm erläutert, dass sie unheilbar ist. ■ Es ist fraglich, ob B. das Ausmass seiner Erkrankung versteht und somit betreffend dem Behandlungsplan und den Entlastungsangeboten urteilsfähig ist. ■ Um zwischen den Handlungsschritten abwägen zu können, muss zuerst klar sein, inwieweit B. in Bezug auf die konkrete Situation urteilsfähig ist. Diese Klärung wird für das weitere Vorgehen handlungsweisend sein. Konsensentscheid ■ Es werden regelmässige Rundtischgespräche mit den Vertretern der vielen verschiedenen involvierten Dis- ziplinen stattfinden ■ Der REA-Status wird mit den Eltern besprochen und definiert ■ DasambulanteBehandlungsteamwirdmitB. erneutbe- sprechen, dass seine Erkrankung lebenslimitierend ist ■ Die Urteilsfähigkeit wird neu beurteilt Prozedere ■ Es wird ein Gespräch zusammen mit der Familie ge- plant ■ In vier Wochen ist ein erneutes ethisches Gespräch geplant ■ Die konkreten Aufgaben werden verteilt, allenfalls werden weitere Fachpersonen zur Beurteilung der Urteilsfähigkeit beigezogen
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