KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2020

30 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L 04 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ Was bedeutet die Einteilung der Schwangeren als Risikogruppe für COVID-19 für Sie als Gynäkologin? Für mich war seit Bekanntwerden der schweren COVID- Verläufe klar, dass die Situation für Schwangere viel erns- ter ist als für gleichaltrige Nicht-Schwangere. Zwar sind Schwangere nicht anfälliger für das Virus, aber falls je- mand erkrankt, ist dies während Schwangerschaft und Ge- burt viel einschneidender. Man stelle sich nur vor, mit ho- hem Fieber, Atemproblemen oder Pneumonie gebären zu müssen. Die Schwangerschaft führt schon früh zu Verän- derungen von Herz-Kreislauf, Koagulabilität und Immuno- logie; die COVID-Infektion scheint Hypoxämie und mikro- vaskuläre Thrombosen zusätzlich zu erhöhen. Zudem muss bei jeder Therapie neben der Schwangeren auch der Foe- tus mitberücksichtigt werden. Aus den aktuellen Daten schätzt man das Risiko von Schwangeren für Hospitalisation, für Intensivstation und für Beatmung fünfmal höher ein als für Nicht-Schwangere. Wie beurteilen sie die Schlagzeilen «weniger Frühgeburten dank Corona»? Ich denke, die Studienergebnisse, wie sie bisher vorliegen, müssen sicherlich noch von anderen Ländern bestätigt werden, aber die Beobachtung ist doch hochinteressant. Es ist durchaus denkbar, dass die verordnete Ruhe, die Ent- schleunigung, die Reduktion der Kontakte und damit der Infektionsmöglichkeiten mit weiteren Keimen einen güns- tigen Effekt hat. Ich würde es begrüssen, wenn die Frauen lernen, der Schwangerschaft mehr Raum und Zeit zu ge- ben und das Bild der immer aktiven, «taffen» Schwange- ren, die sich genauso verhält wie vor der Schwangerschaft, etwas korrigiert wird. Da muss auch ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden. Beobachten sie mehr ungewollte Teenager- schwangerschaften, weil keine Konsultationen vorgenommen wurden? Nein, das konnte ich nicht beobachten. Im Lockdown gab es ja auch Beschränkungen von Ausgang und Partys, da- her war eventuell auch nicht wirklich so viel Gelegenheit. Konnten Sie mehr Zeichen für häusliche Gewalt während oder nach dem Lockdown sehen? Nein, im Gegenteil. Ich habe viele Familien gesehen, die durch den Lockdown enger zusammengerückt sind und eine sehr schöne Zeit gemeinsam erlebt haben. Auch wenn Homeschooling und Homeoffice für junge Famili- en sehr belastend war, erzählen doch auch viele, dass sie erst durch den Druck von aussen erlebten, wie gut sie es in der Familie haben. Viele haben mehr füreinander getan und sich gegenseitig geschützt. Haben Sie eine schwangere MPA? Wie schützen Sie sie? Meine MPAs sind nicht schwanger, aber auch eine schwan- gere MPA kann weiterarbeiten. Sie sollte vor allem bei fortgeschrittener Schwangerschaft weniger im direkten Patientenkontakt sein, möglichst nicht bei Patienten mit COVID-Symptomen und sich immer, auch in der Öffent- lichkeit, konsequent schützen. Und zum Schluss eine interessante Frage für die Zukunft der Kinderärzte: Sehen sie in ihrer Praxis Anzeichen für einen «Babyboom» durch den Corona-Lockdown? Ich habe tatsächlich eine deutliche Zunahme an Schwan- geren, aber von einer Einzelpraxis kann man nicht auf die gesamte Schweiz schliessen. Wir bedanken uns bei Ihnen für dieses informa- tive Interview. ■ DR. MED. IRMELA HEINRICHS VORSTANDSMITGLIED KINDERÄRZTE SCHWEIZ, LEITERIN REDAKTIONS- KOMMISSION, USTER Korrespondenzadresse: iheinrichs@hin.ch Seit dem 5. August 2020 gehören Schwangere laut BAG als Vorsichtsmassnahme zur Gruppe der besonders gefährdeten Personen in Bezug auf COVID-19. Schwangere und Corona – was müssen wir Kinderärztinnen wissen? Interview mit Dr. med. Ruth Draths Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe FMH, Frauenpraxis Buchenhof, Sursee Zeichnung: Matea, 7 Jahre

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