KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2020
25 04 / 2020 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ gerten Blutproben von Erwachsenen und Kindern von vor der COVID-19 Ära durchführte und in 2% positive Resultate fand. 30 Deshalb sind Studien, welche Serologi- en als Messinstrument für eine Ansteckung bei Kindern benützen, mit Vorsicht zu interpretieren. 31,32 Neben der Relevanz der Viruslast sowie der Transmissi- onsgefahr durch asymptomatische Kinder müssen auch umweltbedingte Faktoren wie die reduzierte Übertra- gung durch vermindertes Niesen und Husten bei asym- ptomatischen Kindern, ein kleineres Atemvolumen ge- genüber der reduzierten Möglichkeit von Kleinkindern, sich an Hygienevorschriften zu halten sowie der engere Kontakt mit verantwortlichen Erwachsenen, insbeonde- re auch während einer Krankheit etc., in die Überlegun- gen über die Ansteckungsgefahr ausgehend von Kindern miteinbezogen werden. Zusammenfassung der aktuellen Evidenz ■ Die Rolle von Kindern in der Transmission von SARS- CoV-2 bleibt weiterhin unklar. ■ Kinder unter 10 Jahren stecken sich bei gleicher Ex- position wie Erwachsene weniger häufig mit SARS- CoV-2 an. Ab dem Jugendalter besteht eine ähnliche Anfälligkeit für eine Infektion. ■ Kinder haben ähnlich hohe Viruslasten im Nasen- Rachenraum wie Erwachsene und sind deshalb wohl auch ähnlich infektiös. Des Weiteren finden sich bei asymptomatischen und symptomatischen Kindern/ Erwachsenen ebenfalls ähnliche Viruslasten. ■ Es ist weiterhin unklar, wie stark umweltbedingte/ modifizierbare Faktoren die Übertragung von SARS- CoV-2 beeinflussen. ■ Tabelle: Hypothesen für den altersbedingten Unterschied in den Manifestationen von COVID-19 (adaptiert aus 33 ) Hypothese Evidenz für die Hypothese Evidenz gegen die Hypothese ACE2-Rezeptoren Zellulärer Eintrittsrezeptor für SARS-CoV-2 34 ■ Kinder haben weniger ACE2-Rezeptoren mit einer geringeren Affinität für SARS- CoV-2 und einer unterschiedlichen Verteilung in den Geweben 35,36 ■ Pneumonien durch Coronavirus NL63, welches ebenfalls an ACE2 bindet, sind häufi- ger bei Erwachsenen als bei Kindern 37 ■ ACE2 hat entzündungshemmende Eigenschaften und schützt vor ARDS sowie vor SARS-CoV- und Influenza-assoziierten Lungenschäden 38,39 ■ Weniger ACE2 führt zu höheren Angiotensin-II-Spiegeln, welche positiv mit der Viruslast und Organschäden bei SARS- CoV-2-infizierten Patienten korrelieren 40 Endothelschäden und Blutgerinnung Endotheliosis als wichtiger Faktor in der Pathogenese von COVID-19 41 ■ Endothelschäden sowie eine Neigung zur abnormen Gerinnung nehmen mit dem Alter zu 42 ■ Es gibt eine Assoziation zwischen Krankheiten, welche das Endothel schädigen (z.B. Diabetes mellitus, arterielle Hypertension) und schweren COVID-19-Erkrankungen 43–45 ■ Thrombotische Komplikationen von COVID-19 wie Herzinfarkte und Hirnschläge tre- ten v.a. bei Erwachsenen auf 41,46–49 ■ Vaskulitische Hautmanifestationen sowie Kawasaki-ähnliche Syndrome treten v.a. bei Kindern auf 50–56 Vorbestehende Immunität Kreuzreagierende neutralisierende Antikör- per und T-Zellen helfen bei der Bekämp- fung von SARS-CoV-2 57 ■ Häufigere und erst kurz zurückgelegene Infektionen mit zirkulierenden Coronaviren bei Kindern 58,59 ■ Obwohl eine Serokonversion gegen Coronaviren bei den meisten Kindern im frühen Alter auftritt, sind spätere Reinfektionen häufig 60,61 ■ Obwohl eine Kreuzreaktion von Antikörpern gegen zirkulie- rende Coronaviren und SARS-CoV-2 nachgewiesen werden konnte, ist es unklar, ob die kreuzreagierenden Antikörper auch neutralisierend sind 30,62 ■ Die Rolle der vorbestehenden T-Zellen ist unklar 57 Vorbestehende Immunität Nicht-neutralisierende Antikörper können als infektionsverstärkende Antikörper fun- dieren, welche den Eintritt von Viren in Zellen sowie deren Replikation erleichtern (antibody-dependent enhancement (ADE)) ■ Nachweis von höheren Konzentrationen an kreuzreagierenden nicht-neutralisieren- den Antikörpern bei Erwachsenen gegenüber Kindern 30 sowie bei älteren Erwachse- nen gegenüber jüngeren Erwachsenen 63 Unterschiede im Immunsystem ■ Eine stärkere angeborene Immunabwehr bei Kindern führt zu einer wirksameren Eindämmung/Beseitigung des Virus ■ Eine schwächere adaptive Immunabwehr bei Kindern führt zu einer reduzierten Lymphozyten-vermittelten Entzündung ■ Ein weniger starker proinflammatorischer Zustand führt zu einem weniger starken Zytokinsturm bei Kindern ■ Die Unterschiede im Immunsystem schützen Kinder nicht vor anderen Infektionen mit respiratorischen Viren, durch welche Kinder oft häufiger und schwerer betroffen sind 9 ■ Bei RSV und Influenzavirus haben Kinder nicht weniger häufig einen Zytokinsturm 64,65 ■ Immunsuppression wurde bisher nicht als Risikofaktor für einen schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion identifi- ziert 66 Koinfektionen ■ Kinder haben bei einer SARS-CoV-2 häufiger Koinfektionen 2,67 ■ Evtl. höhere Antikörperspiegel gegen Viren bei Kindern aufgrund von erst kürzlich durchgemachten Infektionen ■ Häufige Virusinfektionen könnten eine verstärkte Aktivierung des angeborenen Immunsystems bewirken ■ Eine Kreuzreaktion von Antikörpern zwischen anderen Viren und SARS-CoV-2 wurde bisher nicht nachgewiesen Unterschiede im Mikrobiom Höhere Besiedlung durch Viren und Bakte- rien bei Kindern ■ Verringerte Kolonisation und Replikation von SARS-CoV-2 durch Konkurrenz 68,69 Komorbiditäten Adipositas, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, chronische Herz-, Lungen- und Nierenerkrankungen ■ Kinder leiden weniger häufig an den Komorbiditäten, welche mit schweren COVID- 19-Erkrankungen assoziiert sind 44 ■ Kinder, welche an diesen Krankheiten leiden, erkranken nicht schwerer an COVID-19 11,70–72 «Off-target effects» von Impfungen BCG, MMR, orale Polioimpfung ■ BCG schützt vor viralen Infektionen 73,74 ■ Mögliche Korrelation zwischen BCG Impfstrategien und Schweregrad von COVID-19- Infektionen 62,163 ■ Bei Kindern liegen MMR, BCG oder Polioimpfung meist kürzer zurück 75,76 ■ «Off-target effects» von Impfungen schützen nicht vor anderen respiratorischen Viren 77 Vitamin D Anti-entzündliche und anti-oxidative Eigenschaften ■ Ältere Menschen haben häufig tiefe Vitamin-D-Spiegel 78–80 ■ In SARS-CoV-2-infizierten Erwachsenen, fanden sich tiefere Vitamin-D-Spiegel als bei nicht-infizierten und die Vitamin-D-Spiegel korrelierten negativ mit dem Schweregrad von radiologischen Lungenveränderungen 81,82 ■ Säuglinge haben seltener einen Vitamin-D-Mangel, da sie in vielen Ländern substitu- iert werden 83 Melatonin Anti-entzündliche und anti-oxidative Eigenschaften ■ Kinder haben höhere Melatoninspiegel 84,85 ■ Fledermäuse, welche nicht oder nicht schwer an Coronavirus erkranken, haben im Vergleich zu Menschen hohe Melatoninspiegel 86 ■ In-silico -Studien, welche zeigen, dass Melatonin SARS-CoV-2 Protease inhibiert 87
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