KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2020

24 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L 04 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ D as neue Coronavirus «severe acute respiratory syn- drome coronavirus 2» SARS-CoV-2, welches die Krankheit COVID-19 verursacht, hat sich rasch über den Globus ausgebreitet und bedroht die Gesundheit und das Wohlbefinden von Millionen von Menschen. Kinder aus allen Altersgruppen können sich mit dem Virus infi- zieren und an COVID-19 erkranken. Obwohl Fälle von potenziell mit SARS-CoV-2-assoziierten Hyperinflamma- tionssyndromen beschrieben worden sind, 1 bleiben die Mehrheit der infizierten Kinder a- oder oligosympto- matisch. Wenn Kinder Symptome entwickeln, sind dies am häufigsten Fieber, Kopfschmerzen, Pharyngitis, Hus- ten, gastrointestinale Symptome oder eine Veränderung des Geschmacks- oder Geruchssinns. 2,3 Während schwe- re oder tödliche Erkrankungen bei Kindern und jungen Erwachsenen relativ selten sind, 4,5 steigen der Schwere- grad und das Sterblichkeitsrisiko von COVID-19 mit zu- nehmendem Alter steil an. Dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen meistens weni- ger schwere Symptome entwickeln, wurde bereits bei den anderen neuen Coronaviren SARS- und Middle East res- piratory syndrome (MERS)-CoV beobachtet. 6–8 Dies steht im Gegensatz zu den meisten anderen respiratorischen Viren, wie z.B. respiratory syncytial virus, Metapneumovi- rus, Parainfluenza- oder Influenzaviren, bei denen sowohl die Prävalenz als auch der Schweregrad der Erkrankung bei Kindern höher sind. 9 Es bleibt weiterhin unklar, ob der altersbedingte Unterschied in den Manifestationen von COVID-19 auf Risikofaktoren für eine schwere Krankheit im Alter oder auf Faktoren, welche jüngere Altersgrup- pen schützen, zurückzuführen ist. Schwere Formen von COVID-19 treten v.a. bei Menschen über 65 Jahren oder mit Komorbiditäten auf und manifestieren sich in Form eines Zytokinsturmes, ARDS oder thrombotischen Kom- plikationen wie Herzinfarkte oder Hirnschläge. Mögliche Hypothesen für die altersbedingten Unterschiede in den Manifestationen einer SARS-CoV-2-Infektion sind in der Tabelle zusammengefasst. Diese zu verstehen ist insbe- sondere auch im Hinblick auf die Entwicklung von Prä- ventionsmassnahmen und Therapien wichtig. Grosse epidemiologische Studien berichten, dass Kin- der weniger als 2% aller SARS-CoV-2-Infektionen aus- machen. 10–12 Diese Zahlen hängen jedoch stark von den angewendeten Testkriterien ab: Oft wurden nur Perso- nen mit Symptomen, häufig sogar nur solche mit Hos- pitalisierungsbedarf getestet, was bei Kindern seltener der Fall ist. Zusätzlich wurden viele der frühen Studien in China während des chinesischen Neujahrsfestes und neuere Studien aus Europa, welche berichten, dass sich Kindern v.a. bei erwachsenen Familienmitgliedern an- stecken, durchgeführt, währenddem die Kinder schul- frei hatten. 13,14 Kinder waren somit SARS-CoV-2 weni- ger ausgesetzt als Erwachsene, welche am Arbeitsplatz, beim Einkaufen, bei Reisen oder im Gesundheitswesen exponiert waren. Nichtsdestotrotz zeigen mehrere Meta- Analysen, dass sich Kinder nach einem Kontakt mit ei- ner SARS-CoV-2-infizierten Person weniger häufig an- stecken als Erwachsene. 15–17 Sind Kinder jedoch infi- ziert, findet sich kein Unterschied in der Viruslast im Vergleich zu Erwachsenen. 18,19 Eine Studie fand sogar eine höhere Viruslast bei Kindern unter 5 Jahren im Ver- gleich zu älteren Kindern und Erwachsenen. 20 Des Wei- teren verbreiten symptomatische Kinder und Jugendli- che SARS-CoV-2 wahrscheinlich auch mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit wie Erwachsene. 21,22 Obwohl neue- re Studien zeigen, dass es keinen Unterschied in der Vi- ruslast zwischen asymptomatischen und symptomati- schen Kindern und Erwachsenen gibt, bleibt die Rolle asymptomatischer Kinder in der Verbreitung von SARS- CoV-2 jedoch weiterhin unklar. 23–25 Ermutigend dage- gen sind jedoch Resultate von Studien, welche berich- ten, dass Übertragungen von SARS-CoV-2 in Schulen, unter Einhaltung der Hygienemassnahmen, von Kin- dern auf andere Kinder oder auf Erwachsene selten sind. 26–28 Dabei ist jedoch zu beachten, dass serologi- sche Studien, insbesondere auch bei Kindern, die Anzahl Infektionen eventuell unterschätzen könnten, da die se- rologischen Tests vor allembei schwerkranken COVID-19- Patienten validiert worden sind und sie deshalb vielleicht zu wenig sensitiv sind, um Kinder nach einer oligosym- ptomatischen Infektion zu erfassen. 29 Andererseits kön- nen Serologien durch Antikörper gegen saisonal zirku- lierende Coronaviren auch falsch positiv ausfallen. Dies zeigt eine Screening-Studie, welche ELISA Tests in gela- DR. PHIL. DR. MED. PETRA ZIMMERMANN LEITENDE ÄRZTIN PÄDIATRISCHE INFEKTIOLOGIE, UNIVERSITÄT UND KANTONSSPITAL FRIBOURG Korrespondenzadresse: petra.zimmermann@unifr.ch Im Vergleich zu Erwachsenen, v.a. solchen über 65-jährig, erkranken Säuglinge, Kinder und junge Erwachsene meistens we- niger schwer an COVID-19. Dies steht im Gegensatz zu anderen respiratorischen Viren, bei denen oft sowohl die Prävalenz als auch der Schweregrad der Erkrankungen bei Kindern höher sind. Bislang gibt es nur Hypothesen für den Altersgradienten in den Manifestationen von COVID-19. Weitere wichtige Fragen sind, ob sich Kinder weniger häufig mit SARS-CoV-2 anstecken, ob infizierte Kinder eine gleich hohe Viruslast wie Erwachsene haben und wie stark ansteckend asymptomatische Kinder sind. Warum erkranken Kinder meist nicht schwer an COVID-19 und was für eine Rolle spielen sie bei der Übertragung von SARS-CoV-2?

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