KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2020
19 04 / 2020 JAHRESTAGUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ Wenn Milchzucker krank macht Die Laktoseintoleranz kann auch nicht genetische Ur- sachen haben und durch einen sekundären Laktase- mangel bedingt sein (z. B. Gastroenteritis, Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom). Wichtig ist es auch, eine Zöliakie auszuschliessen. Bei Laktoseintoleranz reicht eine laktose arme Ernäh- rung in der Regel aus. Lakatasesupplemente (Dauer- rezept ausstellen) sollen vor der Mahlzeit eingenom- men werden. Es sei in der Praxis völlig in Ordnung, die Diagnose ei- ner Laktoseintoleranz bei eindeutigen Symptomen kli- nisch zu stellen, sagte George Marx, aber viele Eltern glaubten einem Testbefund mehr als einer klinischen Diagnose. Eine zuverlässige Durchführung des H 2 -Tests ist frühestens ab dem Kindergartenalter möglich. Eine Genotypisierung wird nicht empfohlen. Zu viel Fruchtzucker Gastroenterologische Beschwerden wegen Frucht- zucker beruhen nicht auf einer Intoleranz , sondern auf einer Fruktose malabsorption . Sie kann physiologisch (zu viel Fruchtzucker, insbesondere bei intensiver körperli- cher Belastung) und/oder pathologisch (Blockade bzw. Defekt des Transportermoleküls GLUT5) sein. Zu meiden sind vor allem Fruchtsäfte, ebenso Süss- getränke und Limonaden, Honig, Inulin sowie Zucker und Zuckeraustauschstoffe wie Isolamit E953, Sor- bit und Mannit sowie fruktosehaltige Gemüse und Gemüsesäfte (z. B. Rüeblisaft). Zurückhaltung beim Fruktosekonsum hilft meistens auch recht gut gegen «toddler’s diarrhea», bei einem häufigen Durchfall bei 2- bis 3-jährigen Kindern, die wenig Bauchschmerzen oder sonstige Symptome haben. Die hereditäre Fruktose intoleranz ist etwas anderes, nämlich eine sehr seltene, schwere, genetisch beding- te Erkrankung. «Sagen oder schreiben Sie niemals ‹Fruktoseintoleranz›, wenn es um die Malabsorption geht!», betonte Marx. Man solle auch nicht sagen, dass das Kind Fruktose nicht «verträgt». Googelnde Eltern werden sehr wahrscheinlich auch auf die heredi- täre Fruktoseintoleranz stossen – unnötige Sorgen und Ängste sind die Folge. Wer muss wirklich auf Gluten verzichten? «Wir sollten häufiger an Zöliakie denken, auch bei Symptomen, die einem dabei nicht primär in den Sinn kommen», sagte Marx. Zu den nicht klassischen Sym- ptomen gehören nämlich auch die Obstipation, die He- patitis und die Adipositas. Bis anhin gehörte die Dünndarmbiopsie zu den Voraus- setzungen für die Anerkennung einer Zöliakiediagnose als Geburtsgebrechen. Nach den neuen Leitlinien der ESPGHAN sind weder die Biopsie noch der früher ge- forderte Gentest (HLA DQ2 und/oder DQ8) notwendig, wenn Anamnese und klinisches Erscheinungsbild ty- pisch für eine Zöliakie sind, das Anti-Transglutaminase- IgA (TGA-IgA) ≥ 10-fach über der Norm (bei normalem Gesamt-IgA) liegt und das Anti-Endomysium-IgA (EMA- IgA) in zwei Blutproben positiv ist. Welche Abklärungen die IV zurzeit fordert, ist in der Schweiz aber noch kan- tonal unterschiedlich. Es gibt keinen Beweis dafür, dass eine glutenfreie Er- nährung für gesunde Personen tatsächlich nützlich ist. Schädlich ist sie aber auch nicht – abgesehen von dem Verdacht, dass bei glutenfreier Ernährung eine Neigung zu ansonsten eher ungesunder Ernährung und einem Zink- und Selenmangel bestehen könnte. Glutensensitivität als Diagnose anerkannt Eine einheitliche Definition der Glutensensitivität gibt es nicht, und es bestehen Überlappungen zum Reizdarm- syndrom. Als typisch gelten Symptome wie Blähun- gen, Bauchschmerzen und Durchfall, die für Stunden bis Tage nach dem Konsum glutenhaltiger Lebensmit- tel auftreten (bei Ausschluss von Zöliakie oder Weizen- allergie). Zuverlässige Angaben zur Prävalenz der Glu- tensensitivität gibt es nicht; sie soll bei Kindern seltener sein als bei (jungen) Erwachsenen. Bei Veganern nicht nur auf Vitamin B 12 achten «Es ist wirklich möglich, sich vegan gesund zu ernähren, wenn man es richtig macht», sagte Marx. Dafür brauche es aber ein sehr gutes Coaching. Neben der allseits be- kannten Notwendigkeit einer Vitamin-B 12 -Supplemen- tierung bei veganer Ernährung ist auch die Versorgung mit weiteren Nährstoffen zu beachten. Auch die Zufuhr von Eisen, Kalzium, Vitamin D, Folsäure, Omega-3-Fett- säuren und Spurenelementen wie Zink, Selen und Jod müsse man im Auge behalten, sagte Marx und emp- fahl regelmässige Kontrollen, das heisst mindestens alle sechs Monate. Weiterlesen… Auf viele weitere Aspekte der Ernährung im Kindes- alter konnte der Referent wegen der begrenzten Zeit nicht eingehen. Darum hier noch ein Buchtipp: «Kinder- ernährung – Expertenwissen für den Alltag» von George Marx und Andrea Mathis (ISBN 978-3-318- 06756-9, Karger Verlag 2020). ■ DR. RENATE BONIFER REDAKTORIN PÄDIATRIE NEUHAUSEN AM RHEINFALL Korrespondenzadresse: renate.bonifer@rosenfluh.ch Referent: Dr. med. George Marx, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH, leitender Arzt, Schwerpunkt pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen Ärzte Referat Ernährung? Hauptsache ohne! Von Modetrends und medizinischer Notwendigkeit
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