KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2020

42 NEUES AUS DER ALLERGI EBEHANDLUNG 03 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ A llergien entwickelten sich in den zwei letz- ten Jahrzenten epidemieartig – etwa 30–40% Prozent der Weltbevölkerung ist betroffen (Pa- wankar et al. 2011). Auch Kinder entwickeln Al- lergien: In der Schweiz leiden bis zu 20% al- ler Kinder unter einer atopischen Dermatitis (AD) (Schmid-Grendelmeier 2010) – schätzungsweise 2–6% aller Kleinkinder an einer diagnostizierten Nah- rungsmittelallergie (Keller et al. 2012), mit Kuhmilch/ Hühnerei und Weizen neben Soja als Hauptauslöser im Säuglingsalter (Ferrari & Eng 2011). Während Symp- tome einer AD im Laufe der Kindheit meist vergehen, können sich Allergien mit Prädisposition der Atemwe- ge im Laufe des Lebens zu allergischem Asthma und atopischer Rhinitis/Rhinokonjunktivitis entwickeln – auch als «atopischer Marsch» bezeichnet (Hill & Sper- gel 2018; Spergel & Paller 2003). Da der starke Anstieg allergischer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten mit einer fortschreitenden «Verwestlichung» (erhöhte Hygiene, kleinere Famili- en, vermehrte Kaiserschnittgeburten, verändertes Er- nährungsverhalten [z.B. Fast Food] und veränderter Einsatz von Antibiotika) einhergeht, untersuchen For- scher vermehrt die Rolle der Darmmikrobiota für eine normale Immunentwicklung (West 2014). Dabei geht man davon aus, dass das Immunsystem des Neuge- borenen Darmbakterien bzw. deren Metaboliten als Quelle verschiedenster Entwicklungssignale benötigt, um normal reifen zu können (Sjogren et al. 2009; West et al. 2015). Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Entwicklung ei- ner Allergie im Säuglingsalter mit einer veränderten Darmmikrobiota verbunden sein kann, die auch als Dysbiose bezeichnet wird. Einige Studien fanden bei- spielswiese Besiedlungen mit niedrigen Raten an Bifi- do- und Laktobakterien sowie hohe Raten an Clostri- dium difficile , die mit der Entwicklung einer Allergie im späteren Leben verbunden waren (Bjorksten et al. 2001; Johansson et al . 2011; Kalliomaki et al. 2001). Andere Studien deuten darauf hin, dass insbesondere eine frühe bakterielle Diversität wichtig für eine nor- male Immunreifung ist, v.a. im Hinblick auf die ange- borene Immunantwort, welche eine immer wichtige- re Rolle in Bezug auf die Pathogenese der Allergien zu spielen scheint (Rodríguez et al. 2015). Kaiserschnittgeburt und frühe Verabreichung von An- tibiotika und Antazida tragen zu einer geringeren bak- teriellen Diversität der Darmmikrobiota bei und können so die Entstehung allergischer Erkrankungen begünsti- gen (Adeyeye et al. 2019; Mitre et al. 2018). Erste Studien zeigen einen erfolgreichen Einsatz von Darmmikrobiota-fördernden Pre- und Probiotika – bzw. synbiotischen Mischungen aus beiden – im Diät- management von Kindern. Bei Kindern mit IgE-vermit- telter AD führte eine Allergietherapienahrung auf Basis vonstarkhydrolysiertemEiweiss,supplementiertmitSyn- biotika, zu einer signifikanten Abnahme des SCORAD- Scores (van der Aa et al. 2010). Nach einjähriger Nach- untersuchung zeigten die Kinder in der Synbiotika- Gruppe weniger asthmaähnliche Symptome und ge- ringere Verabreichung von Asthmamedikamenten (van der Aa et al. 2011). Bei Kindern mit nicht IgE-vermittel- ter Kuhmilchproteinallergie führte die Ernährung über acht Wochen mit einer Allergietherapienahrung auf Aminosäurenbasis, supplementiert mit einer ähnlichen synbiotischen Mischung, zu einer Darmmikrobiota mit einem höheren Anteil an Bifidusbakterien als mit einer Kontrollnahrung ohne Synbiotia, vergleichbar mit ei- ner Referenzgruppe an gesunden gestillten Säuglingen (Candy et al. 2018). Dieser positive Effekt eines acht- wöchigen Einsatzes von Synbiotika konnte über einen Zeitraum von insgesamt 26 Wochen aufrechterhalten werden, begleitet von weniger Ohrinfektionen und ei- nem geringeren Einsatz von Dermatologika in der Syn- biotika-Gruppe (Fox et al. 2019). In den nächsten Jahren werden wir sicher noch mehr Studien zum Management einer Lebensmittelallergie sehen können, die den bisherigen Ansatz der reinen Al- lergenvermeidung um den einer Förderung der Darm- mikrobiota ergänzen. Der Ausblick auf eine mögliche orale Immuntherapie ist zudem vielversprechend. ■ Literatur beim Autor PD DR. MED. OLIVER FUCHS, MD PHD FACHARZT PÄDIATRIE UND KLIN. IMMUNOLOGIE/ ALLERGOLOGIE LEITENDER ARZT PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE AN DER UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, INSELSPITAL, UNIVERSITÄTSSPITAL BERN Korrespondenzadresse: oliver.fuchs@insel.ch Allergien nehmen weltweit zu, auch Säuglinge und Kleinkinder sind betroffen. Der bisherige Ansatz der Therapie einer Allergie, die Allergenreduzierung und -vermeidung i.R. des Diätmanagements, erfährt in den letzten Jahren – neben der zunehmenden Möglichkeit einer oralen Immuntherapie in spezialisierten Zentren – eine mögliche Erweiterung um die Förderung einer intakten Darmmikrobiota. Denn viele Faktoren, die zu einer gesunden Darmmikrobiota führen, gehen auch mit einer geringeren Allergieentstehung einher. Bedeutung der Darmmikrobiota bei Allergien

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