KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2020
37 03 / 2020 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ D ie Anaphylaxie ist eine akute, schwere, potenziell le- bensbedrohliche Hypersensitivitätsreaktion [1]. Sie entsteht meist durch eine IgE-vermittelte Degranulation von Mastzellen und Basophilen, bei der verschiedens- te Mediatoren ausgeschüttet werden. Darunter als be- kanntestes das Histamin. Eine Anaphylaxie kann grundsätzlich in jeder Lebensla- ge, in jedem Alter und von einer unendlich grossen An- zahl von Allergenen ausgelöst werden. In der Kinderarztpraxis wird man möglicherweise da- mit konfrontiert, wenn Familien notfallmässig vorstellig werden, nachdem z.B. ein Insektenstich oder der Kon- sum eines Nahrungsmittels zu einer allergischen Reak- tion geführt haben. Eine Anaphylaxie kann aber auch iatrogen induziert werden durch Medikamente, spezi- fische Immuntherapien oder extrem selten durch Imp- fungen. Häufigster Auslöser im Kindesalter sind Nah- rungsmittel. Bei ca. 20% der Anaphylaxien bleibt die Ursache unklar [2]. Anaphylaxien und insbesondere schwerste Verläufe sind insgesamt selten [3], dennoch sollte jede Kinder- arztpraxis im Umgang mit dieser Situation geschult sein, da schnelles Handeln das A und O einer effizienten The- rapie darstellt. Eine Anaphylaxie ist ein plötzlich eintre- tendes und schnell fortschreitendes Krankheitsbild und wird nach Murphys Gesetz meist in einem für die Mit- arbeitenden der Kinderarztpraxis unerwarteten und unpassenden Moment auftreten. Deshalb ist es ent- scheidend, im Vorfeld ein Vorgehen für die Praxis zu er- arbeiten, das allen Mitarbeitenden vertraut ist und re- gelmässig geübt wird. Notfallmedikamente sollten gut zugänglich gelagert und für alle schnell erreichbar sein. Das grosse Plus der Notfalltherapie der Anaphylaxie ist, dass es sich um ein vom auslösenden Agens unabhängi- ges Vorgehen handelt, d.h. die Therapie einer Anaphy- laxie nach Insektenstich, nach Nusskonsum oder nach Immuntherapie ist identisch. Das Wichtigste zu Beginn: Adrenalin intramuskulär ist das Mittel der Wahl in der Therapie einer Anaphylaxie [1]. Adrenalin wirkt schnell und umfassend gegen die ver- schiedenen mit der Mastzell- und Basophilendegranula- tion einhergehenden Mechanismen und ist dadurch in der Lage, in kürzester Zeit die lebensbedrohliche Situ- ation zu kontrollieren [4]. Leider wird Adrenalin oft zu zurückhaltend eingesetzt [3]. Wann verwende ich Adrenalin? Adrenalin i.m. soll bei jeder anaphylaktischen Reakti- on als Medikament der ersten Wahl primär ohne Ver- zögerung eingesetzt werden [1]. Verzögerte Adrenalin- gabe ist mit einem schlechteren Outcome assoziiert [5]. Die Diagnosekriterien einer Anaphylaxie wurden 2006 formuliert [6]. Eine Anaphylaxie ist demnach sehr wahrscheinlich, wenn eine der folgenden drei Situationen vorliegt: 1. Grundsätzlich bei allen Kindern: Plötzlich einsetzende Symptome der Haut und/oder Schleimhaut (z.B. Urtikaria, Pruritus, Angioödeme) PLUS respiratorische (z.B. Husten, Atemnot, Stridor, Giemen, Hypoxie) und/oder kardiovaskuläre Symp- tome (Synkope, Hypotonie, Inkontinenz) 2. Nach Kontakt zu einem für das Kind wahrschein- lichen Allergen: Plötzlich auftretende Symptome an zwei Organ- systemen (kutan, gastrointestinal, respiratorisch oder kardiovaskulär). (d.h. die Haut muss hier nicht zwingend beteiligt sein) 3. Nach Kontakt zu einem für das Kind bekannten Allergen ist bereits ein isolierter Blutdruckabfall als Anaphylaxiekriterium ausreichend (Primäre Kreislaufreaktionen sind aber im Rahmen ei- ner Anaphylaxie im Kindesalter ein seltenes Ereignis) Wie verwende ich Adrenalin? Die Anwendung von Adrenalin erfolgt intramuskulär in den lateralen Oberschenkel. Dies kann mit einem Au- toinjektor (Pen) erfolgen, oder Adrenalin kann direkt aus einer Ampulle pur aufgezogen werden. Beide Vari- anten haben Vor- und Nachteile (s. Kasten). Man kann in der Kinderarztpraxis auch beide Möglichkeiten pa- rallel vorsehen. Eine intravenöse Adrenalingabe muss vermieden werden, da bei intravenöser Anwendung häufiger Komplikationen auftreten [1, 7 ,8]. Sie ist der Reanimation oder therapie- refraktären Formen der Anaphylaxie vorbehalten. Autoinjektor: In der Schweiz gibt es verschiedene Produkte (Jext ® und Epipen ® ), die gleichwertig eingesetzt werden können. Es empfiehlt sich, die in der Praxis verwendeten Produkte allen Mitarbeitenden vertraut zu machen und die Anwen- dung in regelmässigen Abständen gemeinsam zu üben. Bemerkung: Sinnvoll kann es sein, einen Trainingspen bei der Firma zu bestellen, mit dem die Anwendung simuliert werden kann und/oder einen über das Ab- DR. MED. BETTINA BOGATU FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, FACHÄRZTIN FÜR ALLERGOLOGIE UND KLINISCHE IMMUNOLOGIE FMH, UNIVERSITÄTS- KINDERSPITAL ZÜRICH Korrespondenzadresse: bettina.bogatu@kispi.uzh.ch Notfallmanagement der Anaphylaxie in der Kinderarztpraxis NIE OHNE ADRENALIN!
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