KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2020

23 03 / 2020 COV ID- 19 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ ten, konnten kein Geld verdienen, was die ökonomi- sche Abhängigkeit von den Eltern vergrössert. Oberstufenschüler mussten auf die Möglichkeit des Schnupperns für die Berufsfindung verzichten; Schul- abgänger hatten keine Gelegenheit, für eine Lehrstelle zu schnuppern und ihr Interesse und ihre Stärken vor potenziellen Lehrbetrieben zu beweisen. Dazu kommt die Verunsicherung, wie sich die Covid-Krise auf das Angebot an Lehrstellen auswirkt. Psychisches Befinden Die bereits zitierte Studie der ZHAW berichtet, dass die Lebenszufriedenheit der Jugendlichen gesunken ist, was hauptsächlich auf die Kontaktbeschränkun- gen zurückzuführen sei. Die aussergewöhnliche Si- tuation habe auch emotionale Probleme in dieser Al- tersgruppe verstärkt. Vor allem junge Frauen hätten angegeben, oft unglücklich oder niedergeschlagen zu sein. Zusätzlicher Hinweis für stärker belastete Kinder und Jugendliche durch Covid ist zudem eine Zunahme an telefonischen Beratungsanfragen bei Pro Juventu- te. Insbesondere Jugendliche mit vorbestehenden Pro- blemen seien zusätzlich gefordert. Mehrere Jugendliche haben mir berichtet, sich ver- mehrt die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt zu haben und ihr Leben insbesondere ohne die kla- ren schulischen Anforderungen und Strukturierungen infrage gestellt zu haben. Andere wiederum erlebten sich «wie in einer Blase». Langeweile war ein Thema, wobei sich kaum ein Ju- gendlicher über verpasste Freizeitaktivitäten und aus- gefallene Ferien usw. beklagte, sondern auch hier wieder über den fehlenden direkten Kontakt mit Freunden. Es gab aber auch eine Gruppe Jugendlicher, die sich durch den Lockdown deutlich entlastet zeigte: Weni- ger Stress durch Wegfall des Prüfungsdrucks, mehr Zeit für sich durch fehlende Freizeitaktivitäten und Wegfall des Schulwegs. Insbesondere Jugendliche mit Schwierigkeiten im sozialen Kontakt zeigten sich deut- lich entlastet. Für diese Gruppe wird die Rückkehr zur Normalität eine grosse Herausforderung. Es bleibt nun abzuwarten, ob und welche Auswirkun- gen sich längerfristig zeigen. Hier wird es in den kom- menden Monaten sicher wichtig sein, dass Angehö- rige und Fachleute aufmerksam hinschauen, ob dies vorübergehende Reaktionen auf eine sehr herausfor- dernde Zeit sind oder ob sich andauernde Beeinträch- tigungen des Befindens bis hin zu depressiven Ent- wicklungen zeigen sollten. Was noch an Positivem? Die Studie der ZHAW hat zudem ausgewiesen, dass der Drogenkonsum zurückgegangen ist, dass es kaum Cybermobbing gab und der Sport nicht gelitten hat. Sehr viele Jugendliche haben meines Erachtens die Massnahmen auf bewundernswerte Weise mitgetra- gen, sich solidarisch gezeigt und versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Dies, obwohl sie mitun- ter zu den Bevölkerungsgruppen gehörten, die in ih- rer Lebensweise am gravierendsten von den Massnah- men beeinträchtigt wurden. Schwierig nachzuvollziehen ist, warum die Einschrän- kungen für sie so lange bestehen blieben, während in anderen Bereichen der Gesellschaft die Lockerungs- schritte zügig vorangingen. So besuchen ältere Gym- nasialschüler im Kanton Zürich aus Gründen des Soci- al Distancing die Schule nur in Halbklassen und daher nur zur Hälfte der Zeit, im Kanton Zug sind die Res- triktionen für diese Altersklasse noch weitgehender (Stand Mitte Juni), sämtliche Studenten sind im Fern- unterricht. Und dies zu einem Zeitpunkt, wo sich der öffentliche Verkehr weitgehend ohne Masken füllt, Flüge ohne erkennbare Schutzmassnahmen bis auf den letzten Platz ausgelastet durchgeführt werden und allgemein das öffentliche Leben vielerorts ohne Einschränkungen seinen Lauf nimmt. Das macht kei- nen Sinn! Und es stellt sich die Frage, ob es daran liegt, dass Jugendliche keine ausreichende Lobby ha- ben und im Vergleich zu wirtschaftlichen Interessen schlichtweg das Nachsehen haben. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, wünsche ich mir von der Politik, dass die Jugendlichen nicht dieje- nigen sind, die erneut in zentralen und für sie in ihrer Entwicklung besonders wichtigen Bereichen am längs- ten «pausieren» müssen. ■ REFERENZ: 1. Baier, Dirk; Kamenowski, Maria, 2020. Wie erlebten Jugendliche den Corona-Lockdown?: Ergebnisse einer Befragung im Kanton Zürich. Zürich: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Verfügbar unter: https://doi.org/10.21256/zhaw-20095.

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