KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2020

20 JAHRESTAGUNG 03 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ KIS: Wie geht es Ihnen heute? Guy Bodenmann (GB): Den Umständen entsprechend gut. Es könnte etwas lauter werden, weil Handwerker im Haus sind. KIS: Was mögen Sie besonders an sich? GB: Lacht… Das ist eine steile Frage… Meine Spontanei- tät und dass ich gerne frei entscheide. KIS: Angenommen, Sie könnten Dinge über Bord werfen – wovon würden Sie sich befreien? GB: Administrative Aufgaben, die einen grossen Teil der täglichen Arbeit ausmachen, zeitintensiv und unter Zeit- druck zu erfüllen sind. KIS: Kinder beobachten und erleben, wie Paare sehr unterschiedliche Umgangsformen miteinan- der pflegen. Welche Wahrnehmungen betreffend den Paaren haben Sie während Ihrer Kindheit ge- macht, an die Sie sich besonders positiv erinnern? GB: Meine Eltern lebten eine sehr schöne Ehe. Sie waren während 65 Jahren verheiratet. Während ihrer Ehejahre krachte es durchaus ab und zu. Doch sie zeigten uns Kin- dern auf, dass sich Dinge wieder einrenken lassen. Damit erlebte ich früh, dass Konflikte in einer Ehe dazugehören. Ich erfuhr, dass Auseinandersetzungen deshalb nicht so schlimm sind, weil sie lösbar sind. Meine Gewissheit von «sie schaffen das» verstärkte sich. Ich wusste, dass nach dem Gewitter wieder schönes Wetter kommt. Meine El- tern lebten modellhaft vor, wie ein Paar nach Verstimmun- gen wieder zueinander findet. KIS: Wie kommt es, dass das Kernthema Ihrer For- schungstätigkeit «dyadische Bewältigungsstrate- gien von Paaren» ist? GB: Meine wissenschaftlichen Wurzeln liegen in der Stress- forschung. Damals lag – passend zur existierenden Lehr- meinung – das Individuum mit seinen Coping-Strategien im Fokus der psychologischen Forschung. Während meiner Arbeit begann ich mich zunehmend dafür zu interessieren, was Stress in Paaren auslösen kann und auf welche Be- wältigungsstrategien sie zurückgreifen. Experimentell in- duzierte ich bei Paaren Stress, um die Kommunikation vor und nach der Stressinduktion zu analysieren. Waren die Paare vorher noch gut unterwegs, wurden sie unter Stress in ihrem Umgang unangenehm. Ihre Interaktionsqualität verschlechterte sich um 40%. Besonders spannend war aber, wie sie mit Stress gemein- sam umgehen. Damit war der Startschuss für meine wei- tere Forschungstätigkeit gegeben. Seit 25 Jahren erforsche ich nun Paarbeziehungen. Wir analysieren aufgrund von Verhaltensbeobachtungen, wie sie miteinander streiten, Konflikte lösen, sich gegenseitig unterstützen. Dabei in- teressiert auch, wie die gelebten Interaktionsmuster eines Paares wiederum die Beziehung zwischen dem Paar und ihrem Kind beeinflussen. Ein Teil meines Referates wird diese sozialen Interdependenzen beleuchten. KIS: Die letzten Wochen haben uns allen viel ab- verlangt, weil unsere Adaptationsfähigkeit und Flexibilität durch das erstmalige Erleben einer Pandemie herausgefordert wurden. Welche ers- ten Erkenntnisse können Sie aus der Perspektive der Paar- und Familienforschung mit uns teilen? GB: Ich bin an zwei internationalen Forschungsprojekten beteiligt. Eines untersucht in 25 Ländern die Bewältigungs- strategien von Paaren und Familien. Erste Ergebnisse bestä- tigen, was ich angenommen hatte. Paare rücken während DR. MED. CAMILLA CEPPI COZZIO VORSTANDSMITGLIED KINDERÄRZTE SCHWEIZ, LEITERIN ARBEITSGRUPPE JAHRESTAGUNG, DÜBENDORF Korrespondenzadresse: c.ceppi@hin.ch Ein Gespräch mit Prof. Dr. Guy Bodenmann, Ordinarius für Klinische Psychologie (Kinder/Jugendliche & Paare/ Familien) an der Universität Zürich. Professor Bodenmann ist ein renommierter, engagierter und medial präsenter Paarforscher und -therapeut und wird das Hauptreferat an der KIS Jahrestagung vom 3. September 2020 in Sursee halten. Um euch unseren geschätzten Gastredner näher vorzustellen, haben wir ihn um ein Interview gebeten. Er wird in seinem Vortrag auf die Rolle verschiedener Familienrealitäten für die Entwicklung der Kinder eingehen und die Frage behandeln, was Kinder aus psychologischer Sicht brauchen, um gut gedeihen zu können. Wie viel Familie braucht ein Kind und worauf kommt es wirklich an?

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