KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2020
17 03 / 2020 BERUFSPOL I T I K K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ neues Tarif-Modell betrachtet wird – die von den Chirur- gen und santésuisse eingegebenen Pauschaltarife sind es sicher – widerspricht einer nüchternen Beurteilung, ist Tardoc doch einfach ein auf Tarmed basierender re- vidierter Einzelleistungstarif. Die Qualifizierung als neu- es Tarifmodell ist aber insofern erklärbar, als dass bei ei- nem Modellwechsel gemäss KVV Art. 59.c Ziff. 1c keine Mehrkosten entstehen dürfen. Bundesrat und Versiche- rer können sich folglich sehr bequem hinter dem Gesetz verstecken und die längst fälligen Tarifanpassungen an die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten (KVG Art. 43 Abs. 4) verhindern. Den Vertretern der Ärzteschaft – Ärztekammer wie Delegiertenversammlung der FMH – blieb unter dem Druck von Bundesrat und Versiche- rern gar nichts anderes übrig, als die Kostenneutralität zu akzeptieren, wollte sie die Tarifautonomie aufrecht erhalten und die Entscheidungsbefugnis nicht ganz an den Bundesrat abgeben. «Keine Kostensteigerung» bedeutet Kürzung der be- triebswirtschaftlich berechneten Leistungen, jetzt nicht mehr unter dem Namen «Normierung», aber immer noch linear. Ein dem Tarifmodell aufgepfropfter «exter- nal factor» reduziert den Preis jeder Leistung um vo- raussichtlich 14% und verunmöglicht damit die vom KVG geforderte sachgerechte und betriebswirtschaft- lich korrekte Abgeltung. Tardoc bildet zwar die ärztli- chen und vor allem auch die hausärztlichen Leistungen deutlich besser ab als Tarmed und basiert auf aktuellen Berechnungen. Da diese aber im Vergleich zu den 25 Jahre alten Berechnungen von Tarmed – wen erstaunt es – ein höheres Kostenvolumen ausweisen, korrigiert der «external factor» entsprechend nach unten, in der Summe auf das Preisniveau von 1995. Noch sind die Auswirkungen von Tardoc in der nor- mierten Variante – das heisst unter Missachtung der gestiegenen Lohn- und Mietkosten – auf unsere Pra- xen nur erahnbar. Der Entscheid des Bundesrats über Tardoc muss abgewartet werden. Die Pädiatrie dürfte vergleichsweise gut dastehen wegen des verbesserten Kinderzuschlags. Die Sparwelle Von der ersten Welle weggespült hat das Eidgenössi- sche Parlament doch wieder Luft gekriegt. Noch vor der Spardebatte hat es mal Dutzende von Milliarden Fran- ken zur Bewältigung der Corona-Krise bewilligt und sich für eine Aufstockung der Medikamenten- und Impf- stoffpflichtlager sowie für eine vermehrte landeseigene Heilmittelproduktion ausgesprochen, alles mit erheb- lichen Kostenfolgen. Am kostengünstigsten für den Staat wird Lagerhaltung durch Auslagerung, also wenn die Lagerung von Schutzmaterial den Praxen aufgebür- det wird. Gleichzeitig will der Bund mehrere Hundert Millionen Franken im Gesundheitswesen einsparen, bis zu 20% der Gesamtkosten, ohne Qualitätseinbusse. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Kostensparmassnah- men beschäftigen das Parlament und uns. Die Corona- Krise hat gezeigt, dass unser Gesundheitssystem – min- destens kurzfristig – weniger hochtourig laufen kann, ohne dass es sofort zur Katastrophe kommt. Die lang- fristigen und versteckten negativen Auswirkungen sind allerdings noch nicht bekannt. Vielleicht bringt uns Co- rona dazu, unsere Ansprüche zu überdenken. Die Wissenswelle Seit 600 Jahren wissen wir, dass Abstand und Quaran- tänemassnahmen schützen. Je weniger Leute wir tref- fen, je mehr Distanz wir halten, umso weniger breitet sich eine infektiöse Erkrankung aus. Die Einschränkun- gen sind aber beträchtlich. Unterdessen haben wir auch einiges über Zahlen und deren Interpretation gelernt. Statistik ist zwar Mathe- matik, aber insbesondere auch eine Frage des Stand- punktes des Betrachtenden. Und dass Wissenschaft nicht mit Wahrheit gleichzuset- zen ist, wissen wir auch schon lange. Darum dürfen und sollen sich Wissenschaftler auf der Suche danach wider- sprechen und sich korrigieren dürfen. Mit Unsicherheiten und Wissenslücken müssen wir um- gehen können. In unserem Beruf sind wir uns das ge- wohnt. Richtig oder falsch? Mehr oder weniger? Län- ger oder kürzer? Jetzt oder später? Welche Diagnostik? Welche Therapie? Wie viel Abstand? Welche Maske? Und wo? Schütze ich mich selbst oder die anderen? Werde ich sie im Kontakt mit den Patienten je wieder aus dem Gesicht kriegen? Und warum? Das zusätzlich verbrauchte Händewaschwasser ent- spricht einem Sechzigstel des total verbrauchten Trink- wassers in der Schweiz. Und Regen fällt in der Schweiz 3500 Mal mehr. Auf jeden Fall: Kinder- und Hausärzte wissen mit besonderen Lagen und Herausforderungen umzugehen. Bei der nächsten Krise darf der Zugang zu den medizinischen Grundversorgern nicht unnötig eingeschränkt werden. ■
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