KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2020

41 02 / 2020 LESERBR I EF K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ xis eine fundierte Weiterbildung einschliesslich der Aus- einandersetzung mit der zugrunde liegenden Philosophie voraussetzt. In diesem Zusammenhang muss vielleicht unterstrichen werden, dass sämtliche an der Artikelse- rie zur integrativen Pädiatrie beteiligten Autoren primär Schulmediziner sind. Die Interessen sind aber bekannt- lich verschieden: So wie andere Kolleginnen und Kolle- gen Zusatzweiterbildungen z.B. in Hüftsonografie, Pra- xislabor oder Reisemedizin absolvieren, haben sich die Autoren zusätzlich zu ihrer pädiatrischen Facharztwei- terbildung im Bereich einer komplementärmedizinischen Richtung weitergebildet, einschliesslich Erlangung des entsprechenden Fähigkeitsausweises des SIWF. Die Be- hauptungen, dass die darauf beruhende erweiterte bzw. integrative therapeutische Praxis «Quacksalberei», «ein Armutszeichen» und «berufsethisch erklärungsbedürf- tig» sei und «kein bisschen Legitimität» habe und dazu noch das ganze «Kollektiv [der Kinder- und Jugendärzte] in Verruf» bringen würde, gehen meines Erachtens über das tolerierbare Niveau einer persönlichen Meinungsä- usserung hinaus. Unverstanden geblieben ist Kollege de Garis offenbar das «pragmatische Schema» zur Auswahl/Empfehlung von Therapien [2], das universell auf konventionelle und kom- plementäre Therapien angewendet werden kann. Sonst käme er nicht zu der Aussage, dass die Option, eine nicht sichere Therapie zu überwachen «ethisch schwer zu ver- treten» wäre. Nichts anderes passiert aber tagtäglich z.B. in der Onkologie, wo nicht sichere Therapiemass- nahmen wie z.B. Chemotherapien unter angemessener Überwachung eingesetzt werden. Es ist sehr wohl richtig, dass auch komplementäre Therapien entgegen manchen Meinungen durchaus Sicherheitsrisiken bergen können. Aus diesem Grund sollten sie auch nur durch entspre- chend geschulte Fachpersonen verschrieben bzw. ange- wendet werden. Niemand wird die grossen Verdienste der Schulmedizin anzweifeln. Es mag sein, dass die Schulmedizin viel «für das physische Wohlbefinden der Patienten getan hat», wie Kollege de Garis ausführt. Dass sich das Mensch- sein aber nicht auf das «physische Wohlbefinden» be- schränkt, dürfte jedem klar sein. Eine Medizin, die den ganzen Menschen behandeln will, kann darum auch nicht darauf reduziert werden. Eine Einwendung eines Schulmediziners gegen das Konzept der integrativen Me- dizin kann im Grunde nicht gemacht werden, weil Letz- tere die sog. Schulmedizin ja mit umfasst. Nur derjeni- ge, der nicht nur verlangt, man müsse sein Wissen und seinen Standpunkt bejahen, sondern der dazu noch den Anspruch erhebt, man dürfe keine Erkenntnisse vorbrin- gen, die über die seinigen hinaus gehen, kann die inte- grative Medizin wie Kollege de Garis von vornherein ab- lehnen. Wer sich und seine Medizin allerdings zu sehr «am Fundament der Wissenschaft» verankert, riskiert, ihre weitere Entwicklung zu verpassen. ■ REFERENZEN 1. Fanaroff AC, et al. Levels of evidence supporting American College of Cardiology/American Heart Association and European Society of Cardiology guidelines, 2008–2018. JAMA 2019;321(11):1069–80. 2. Huber BM. Was ist integrative Pädiatrie? Kinderärzte.Schweiz News 2020;(1):16–7. 3. Schlaeppi M. Entwicklung von integrativer Medizin bedeutet auch Verantwortung für Qualität. Schweiz Z Ganzheitsmed 2016;28:317. Wie der Replik von Kollege Huber zu entnehmen ist, praktizieren wir ja angeblich alle eine Medizin, die auf wenig bis keiner soliden Evidenz basiert – wirklich?? Will er tatsächlich suggerieren, dass ein «schulmedizi- nisches» Medikament, welches (zur Recht) einem ext- rem streng geregelten und kontrollierten Entwicklungs- und Herstellungsprozess unterworfen wird, bevor es nach etwa einem Jahrzehnt auf dem Markt zugelas- sen wird, einem Alternativpräparat gleichzusetzen ist, das sich all dieser Sicherheitsmechanismen entzieht? Ich glaube das bedarf keines Kommentars. Der Verweis auf Onkologika oder Ausnahmen, die sich noch in Phase-I- oder -II-Studien befinden, ist irrele- vant, weil selbst diese bereits eine stringente vorklini- sche Testphase durchlaufen haben müssen. Natürlich sind, wie immer, für eine detaillierte Analyse eines Themas präzise Begriffserläuterungen und Litera- turverweise nötig, wenn eine vertiefte Diskussion statt- finden soll. Ein Leserbrief ist dafür aber nicht geeignet. Bezüglich des «tolerierbaren Niveaus» der Meinungs- äusserung: Ich bin mir dessen mehr als bewusst, dass ich innerhalb der KIS mit meiner Haltung dieser klei- nen Minderheit angehöre, die in der Replik als «un- belesener Ignorant» und als Gegenpol zum «gute(n) Kliniker» bezeichnet wird. Die Geschichte lehrt uns, dass die Mehrheitsfähigkeit kein verlässliches Quali- tätsmerkmal ist. Meine Haltung lediglich als persönliche Sicht zu be- schreiben, ist allerdings realitätsfern: 2017 wurde bei- spielsweise in England nach eingehender Überprüfung aller Evidenz die Finanzierung von Homöopathie im NHS verboten – es sei ein «misuse of public funds». 2019 folgte Australien (zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer Alternativpraktiken) nach einer der um- fassendsten Reviews über deren Effektivität, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. ■ Duplik DR. MED. CHRISTIAN DE GARIS FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH RATHAUSGASSE 9 4800 ZOFINGEN Korrespondenzadresse: degaris@hin.ch Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Argumente beider Seiten zur Kenntnis genommen. Auf eine weitere Diskussion wird verzichtet.

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