KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2020
40 LESERBR I EF 02 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ scher Therapie ins SMW (2019; 149:w20071). Bekannt sind auch die «traditionell chinesischen Heilmittel», wel- che Höchstdosen von Steroiden enthalten und wieder andere, die hauptsächlich verantwortlich sind für das weltweite Aussterben vieler bedrohter Tierarten. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass ich mit die- sem Plädoyer für eine Rückkehr zur soliden, evidenz- basierten Medizin die Kollegen, die alternativ arbei- ten, überzeugen werde. Wer sich davon verabschiedet, die Medizin am Fundament der Wissenschaft zu veran- kern, wird dies als befremdend empfinden. Die Gruppe «Boyzone» bringt diese «post-Fakt» Einstellung mit ih- rem grössten Hit auf den Punkt: «...no matter what they teach us, what we believe is true.» ■ Wir danken Dr. med. de Garis für die ausführliche Dar- stellung seiner persönlichen Sicht auf das Themenheft zur integrativen Pädiatrie (Kinderärzte.Schweiz News 1/20), die hier kurz kommentiert werden soll (wo nicht anders vermerkt, stammen alle Zitate aus seinem Text). Wenn jemand – wie eben Kollege de Garis – sich durch die persönliche Beschäftigung mit komplementärmedi- zinischen Methoden dafür entscheidet, diese nicht zu praktizieren, hat das genauso seine Berechtigung wie umgekehrt. Tatsächlich erleben ja viele Kolleginnen und Kollegen in der täglichen Praxis eine Bereicherung ihrer therapeutischen Möglichkeiten durch Einbezug komple- mentärer Therapien. Die Verschiedenheit der Patienten sowie die Vielfalt der gesundheitlichen Probleme in al- len Bereichen der Kinder- und Jugendmedizin verlangt ja geradezu nach einem grossen Rucksack gefüllt mit verschiedensten Therapiemethoden. Wer diese auf die wenigen, wirklich evidenzbasierten Therapien in der Pä- diatrie beschränkt, hat sicher nicht schwer zu tragen. Während entsprechende Zahlen zur Pädiatrie fehlen, beruhen beispielsweise die Guidelines in dem erheblich stärker beforschten Gebiet der Kardiologie nur zu etwa 10% auf einer Level-A-Evidenz (also dem was landläu- fig als «evidenzbasiert» bezeichnet wird, nämlich basie- rend auf multiplen RCTs oder einem grossen RCT), wäh- rend den meisten Empfehlungen nur eine Level-B- oder C-Evidenz zugrunde liegt (also mehrheitlich Beobach- tungsstudien bzw. Expertenmeinungen) [1]. Wer möch- te da behaupten, dass wir in der Pädiatrie grundsätzlich «evidenzbasiert» therapieren, wo doch viele der täg- lich praktizierten Therapien bei Kindern gar nicht ausrei- chend erforscht sind und insofern ohne «solide Evidenz» und gerade nicht nach «den besten und höchsten Stan- dards» angewendet werden? Und welcher gute Kliniker würde sich denn allein von den Ergebnissen eines RCTs mit seinem experimentellen Studiendesign vorschreiben lassen, wie er seine vom Studienkollektiv zwangsläu- fig mehr oder weniger abweichenden Patienten im Ein- zelfall zu behandeln hat? Auch für zahlreiche komple- mentäre Therapien liegen mittlerweile klinische Studien einschliesslich RCTs vor. Dürfte man diese dann zur «wis- senschaftlich fundierten Medizin» rechnen? Oder eher nicht, so wie man auch Expertenmeinungen in der Kom- plementärmedizin aus schulmedizinischer Sicht meist keine Berechtigung zugesteht, obwohl diese in der Kar- diologie als Level-C-Evidenz etwa 50% der Guidelines zugrunde liegen [1]. Je mehr man in die Details geht, umso komplexer stel- len sich die Zusammenhänge dar. Was Kollege de Garis vor diesem ganzen Hintergrund als «[die] evidenzbasier- te, wissenschaftlich fundierte Medizin» versteht, bleibt erklärungsbedürftig. Das gleiche gilt für die von ihm vor- genommene, aber nicht näher erläuterte Grenzziehung zwischen «evidenzbasierter Medizin» und «Alternativ- medizin». Konkrete Begriffserläuterungen einerseits als «irreführend» zu bezeichnen und andererseits selbst Be- griffe in freier Manier anzuwenden, ist für eine konstruk- tive Auseinandersetzung wenig hilfreich. Es ist klar, dass die Begriffserläuterungen im Artikel über integrative Pä- diatrie [2] keine allumfassende und zeitlose Gültigkeit be- anspruchen, sondern vielmehr zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen wollen. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass – wie man an vielen Beispie- len aufzeigen könnte – die Übergänge zwischen der sog. «Schulmedizin» und der sog. «Komplementär-/Alterna- tivmedizin» in Wirklichkeit fliessend sind und die Gren- ze nur ein künstliches Konstrukt ist – das durchaus von Vertretern beider Seiten aufgebaut und gepflegt wird. Die von Kollege de Garis angesprochene «mangelnde Evidenz» im Bereich der Komplementärmedizin ist unbe- streitbar, wobei zu präzisieren ist, dass dies vor allem auf der noch viel zu geringen Forschungsaktivität in diesem Bereich beruht. «Wer allerdings heute immer noch be- hauptet, dass es keinen einzigen wissenschaftlichen Be- leg zur Wirksamkeit in der Komplementärmedizin gibt, outet sich als unbelesener Ignorant auf dem Feld, das er kritisiert.» [3] Da reicht auch der Hinweis auf Prof. Ernst nicht, dessen wissenschaftliche Aktivität sich ja bekannt- lich darauf beschränkt, die Existenzberechtigung und Verbreitung komplementärmedizinischer Methoden sys- tematisch zu bekämpfen. Kollege de Garis mag Recht haben, dass es sowohl un- ter «Schulmedizinern» wie auch unter «Komplementär-/ Alternativmedizinern» (die Begriffe werden hier im Sin- ne der Ausführungen von Dr. de Garis verwendet) Ver- treter gibt, die ihr Handwerk nicht nach den Regeln der Kunst ausüben – aus welchen Gründen auch immer. Man kann darum dem Kollegen nur zustimmen, wenn er fordert, dass die Anwendung von z.B. homöopathi- schen Arzneimitteln wie jede andere therapeutische Pra- DR. MED. BENEDIKT M. HUBER ZENTRUM FÜR INTEGRATIVE PÄDIATRIE KLINIK FÜR PÄDIATRIE HFR FREIBURG – KANTONSSPITAL Korrespondenzadresse: benedikt.huber@h-fr.ch Replik
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