KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2020

16 COV ID- 19 02 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ Was für Sorgen macht sich ein Kinderarzt, im Wissen, dass nun die Eltern mit ihren Kindern zu Hause festsitzen? Erstens mache ich mir nicht nur Sorgen. Es gibt viele posi- tive Effekte der aktuellen Verlangsamung des Lebens und der Fokussierung auf den Lebensmittelpunkt Familie. Ich erlebe viele Eltern entspannter im Umgang mit ihren Kin- dern, da sie nicht zur Arbeit stressen müssen und auch für sich mehr Zeit haben. Sie haben auch mehr Zeit, sich wirk- lich um sich und ihre Familien zu kümmern. So kommen Eltern wieder vermehrt zum geniesserischen Kochen und Essen, in der Schweiz auch zum gemeinsamen Spazieren und zur Familienzeit. Sicher gibt es auch vermehrt Rei- bungspunkte: Je nach Familienstruktur Kinder, die immer am Handy hängen; Jugendliche, die sich selber und ih- rer Familie das Leben schwer machen mit dem fehlenden Kontakt zu Peer Gruppen; Paarproblematiken, die nun offensichtlicher werden. Die wirtschaftliche Unsicherheit kommt noch dazu, bisher Gott sei Dank aber noch keine richtige Notsituation mit Familien, die hungern oder kein Dach mehr über dem Kopf haben, wie das in früheren Zeiten leider oft der Fall war. All dies kann im Fall von en- gen Wohnverhältnissen wirklich zu Problemen führen wie psychische oder physische Gewalt an Kindern; frustrierten Eltern: Paarbeziehungen, die auseinandergehen können. Und da dies alles unter dem Druck der Isolation geschieht, ist es auch weniger offensichtlich. Grundsätzlich wird also die Situation vor allem Familien unter Druck setzen, wel- che bereits Probleme oder belastende Themen haben, da sie diesen nicht oder weniger gut ausweichen können. Man hört immer wieder, dass COVID-19 für Kinder keine Gefahr ist. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema? Wo gilt es sensibilisiert zu sein und achtzugeben? Die Datenlage ändert sich, aber grundsätzlich sind Kinder und Jugendliche selten klinisch schwer krank. Unklar ist, ob sie sich auch nicht anstecken oder einfach keine oder wenig Symptome haben. Dennoch sind es gerade auch die Jugendlichen und Kinder, welche unerkannt die älte- re Generation anstecken können. Solange dies nicht klar ist, muss leider der Kontakt gerade zu den Grosseltern physisch eingeschränkt bleiben. Dies wird auch nach der nun kommenden Öffnung der Fall sein. Erst neue klini- sche Daten werden uns da weiterhelfen. Für den Kontakt der Kinder untereinander sehe ich weniger Probleme. Es sollte aber eine überschaubare Kontaktgruppe sein (zum Beispiel Kinder, die im gleichen Haus wohnen, sehr gute Freunde oder Kinder mit Familienbezug), da sonst wieder die Gefahr einer Ansteckung an Risikogruppen steigt. Der Kontakt mit dem Virus in begrenzten Gruppen ist aber zurzeit die einzig mögliche Massnahme, um ein unkont- rolliertes Verbreiten von COVID-19 einzudämmen. Mein Kind ist erkältet und hat Fieber: Muss ich zu Hause bleiben? Wie sollen sich Eltern verhalten, deren Kinder Erkältungssymptome haben oder husten? Ja, Sie müssen leider zu Hause bleiben. Denn die Anste- ckung mit einem möglichen COVID-19 soll begrenzt blei- ben. Dasselbe gilt auch für die Eltern. Insbesondere wenn diese in einem Altersheim oder mit älteren Menschen zu- sammenarbeiten. Die Arbeit an einem anderen Arbeitsort muss von Fall zu Fall überlegt und besprochen werden. Arbeiten mit einer normalen chirurgischen Schutzmas- ke kann helfen; bei Eltern, die wirklich husten, sind die- se aber ungenügend. Natürlich gibt es noch viele ande- re Gründe für Fieber und Husten, ich denke aber, dass im Moment immer noch das Risiko einer unkontrollierten COVID-19-Infektion in unsere Verhaltensanpassung ein- fliessen muss. Also gelten in dieser Situation weiterhin die bekannten Regeln des BAG, bis diese aufgrund der neu- en Datenlage angepasst werden können. Man spricht oft von der Risikogruppe ab 65 Jahre. Gibt es auch unter den Kindern Risikogruppen? (Immungeschwächte, bronchial vorbelastete Kinder, krebskranke Kinder etc.) Ja, die von Ihnen genannten Gruppen sind für Infektio- nen aller Art und insbesondere für Lungeninfektionen tat- sächlich anfälliger. Wir haben zu wenig Daten über tat- sächlich erkrankte Kinder mit Immunsuppression oder unkontrollierter Lungenerkrankung (Asthma, CF etc.), er- freulicherweise sind mir aber keine Berichte bekannt, welche von einer verstärkten Erkrankung oder gar ver- mehrten Todesfällen dieser Kinder berichten. (Stand der Info: Anfang April 20 – auch aktuell sind die Daten so- weit mir bekannt gleich, auch die an Kawasaki-like- Syndrome erkrankten Kinder stammen nicht aus dieser Pa- tientengruppe). Trotzdem sollte man im Umgang mit diesen Kindern und Jugendlichen besonders vorsichtig bleiben. Das genaue Vorgehen und allfällige Vorsichtsmassnahmen, insbesondere auch einen allfälligen Schulbesuch betref- fend, würde ich mit dem behandelnden Arzt besprechen. INTERVIEWERIN: HANAN KHODARI www.byhananlife.com Barcelona Korrespondenzadresse: h.khodari@gmail.com Ein Interview mit Raffael Guggenheim, Praxispädiater, zu Fragen, welche Familien besonders betreffen. Das Interview wurde für einen Familienblog (http://www.byhananlife.com/kinder-und-das-coronavirus-ein-arzt- gibt-antworten/) gegeben und wurde Anfangs April 2020 durchgeführt und damals in leicht veränderter Form publiziert. Einige Fragen sind daher aufgrund des aktuellen Verlaufs heute sicher angepasster zu beantworten. Wir danken der Autorin für die Reproduktionsgenehmigung. Was die COVID-19-Zeit mit Familien macht

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