01 / 2020 ERFAHRUNGSBER I CHT K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 55 Dennoch sollte man sich um die Diagnose bemühen, hat sie doch erheblichen Stellenwert durch ihren Einfluss auf den weiteren Umgang mit den Betroffenen. Dieser unterscheidet sich massgeblich sowohl im häuslich-erzieherischen als auch im schulischen Umfeld von Neurotypischen oder «rein» ADHS-Betroffenen und braucht in allen Bereichen erhebliche Anpassungen. Intensiv wurden die Schwierigkeiten von AspergerBetroffenen im Hinblick auf die klassische Schullaufbahn geschildert, die durch deren andere Wahrnehmung von Situationen, Nichtanerkennung von sozialen Hierarchien und erhebliche Diskrepanzen im Entwicklungsprofil (Sprachniveau Stufe 1, Rechenniveau Stufe 6) die Regelschulen vor immense Herausforderungen stellt. So bleibt vor dem Bedürfnis nach Kleingruppenbeschulung und individuellem Lernen (digitales Lernen) mitunter nur der Weg zur Sonder- oder Privatschule oder das Homeschooling. Schilderung von Betroffenen Dass auch das nicht immer gelingt, schilderte im anschliessenden Workshop-Parcours eindrücklich und dankenswert offen eine pädiatrische Kollegin zusammen mit ihrem 16-jährigen Sohn mit Asperger-Diagnose. Seine Schullaufbahn endete nach jahrelanger Odyssee durch jegliche Beschulungsansätze bis hin zum Schulausschluss, letztlich mithilfe eines Berufs-Coachs als Quereinsteiger ohne klassischen Schulabschluss aktuell glücklich in einer Firma für Softwareentwicklung. Des weiteren stellte sich das Team von Factordrei in Winterthur mit Dr. med. Kurt von Siebenthal und Psychologin Regina Renggli-Bruder vor. Dort wird Abklärung und Coaching als Zusammenspiel von Kind, Familie und Schule praktiziert. Die Bestärkung der elterlichen Wahrnehmung mittels privater Videosequenzen und Fragebögen kann auch den Schulen signalisieren, dass sich die Familie um die Probleme kümmert. Krankschreibungen, Nachteilsausgleiche und Anpassungen bezüglich Fächerkombination und Wochenpensum können Betroffene entlasten und festgefahrene Situationen zum Dialog bringen. Es lohnt sich daher im Sinne des Patienten auch mal «unbequem» zu sein. Intensiv-Therapie bei frühkindlichem Autismus Esther Kievit als therapeutische Leiterin des FIAS-Zentrums vertiefte dagegen den Einblick in das intensive ganzheitliche Therapiekonzept für die junge Patientengruppe am anderen Altersende des Spektrums, bei dem sich ein Team von sieben Leuten in einer dreiwöchigen stationären Therapie und anschliessend zweijährigen häuslichen Begleitung mit 25 Std./Woche um den integrativen fördernden Anschluss des betroffenen Kindes an die Familie kümmert. Es wäre kein KIS-Seminar, wäre nicht allgemeine Interaktion gefragt und erwünscht gewesen, sodass diese zwei Tage nicht nur durch die hervorragenden Referenten und engagierten Organisatoren, sondern auch dank der Teilnehmer zu einem lehrreichen und motivierenden Austausch wurden, der einen Anstoss zur vertieften Beschäftigung mit dem komplexen Thema gab. Literaturempfehlungen: Todd Samantha – Eine eigene Welt. Einblick in das Autismus-Spektrum; Kommode-Verlag 2015 S. Bölte – Autismus. Spektrum, Ursachen, Diagnostik, Intervention, Perspektiven; Huber Verlag, 2009 mit Beiträgen von u.a. Dr. E. Herbrecht, Dr. R. Gundelfinger, Mathias Huber Girsberger Thomas – Die vielen Farben des Autismus; Kohlhammer, 2019 Tschirren Barbara et al. – Ich bin Loris. Kindern Autismus erklären. Kids in Balance; 2015. Ronnie Gundelfinger – Autismus in der Schweiz, Was hat sich in den letzten zehn Jahren getan?; SCHWERPUNKT, Pädiatrie 5/13 Internet: www.autismus.ch www.m-casura.ch (PECS) www.wahrnehmung.ch (Abklärung, Beratung, Therapie, Kurse) www.workout.ch (Beratung, Kurse, Jobcoaching)
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