01 / 2020 VERNETZUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 43 stark getrennt zwischen Hilfen für Kinder und Jugendliche und solchen für (junge) Erwachsene. Das heisst, wenn die Care Leaver*innen nach Austritt wieder Bedarf an Unterstützung haben, sind neue Personen und Organisationen für sie zuständig. Die Orientierung im Unterstützungssystem für Erwachsene ist oft schwierig und die Nutzung der Angebote ist relativ hochschwellig. Neben den strukturell bedingten Schwierigkeiten bestehen für Care Leaver*innen häufig auch individuelle Hürden. Care Leaver*innen sind für die anspruchsvollen Übergänge ins Erwachsenenleben meist weniger gut ausgestattet als ihre Peers. Sie haben oft Mangel an verlässlichen Bezugspersonen, sozialen Netzwerken, Geld, Qualifikationen, geeignetem Wohnraum und alltagspraktischen Kompetenzen. Zudem mussten sie nicht selten schwierige biografische Erfahrungen durchleben. Gleichzeitig bilden Care Leaver*innen eine sehr heterogene Gruppe: Sie haben andere Lebensgeschichten, verschiedene Perspektiven und entsprechend unterschiedliche Unterstützungsbedarfe. Darauf müssen unsere Gesellschaft und unser Sozialsystem geeignete Antworten finden. Diese Übergangsphase – genannt Leaving Care – ist inzwischen besser beforscht. In der Schweiz gibt es ein wachsendes Bewusstsein für die Situation und die Unterstützungsbedarfe von Care Leaver*innen. Einige Angebote und Projekte für und mit Care Leaver*innen und erste gesetzliche Regelungen auf kantonaler Ebene, welche passende Unterstützungsleistungen ermöglichen, sind umgesetzt. Erste Initiativen und Angebote gestartet Die oben beschriebene «Übergangsbegleitung der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime» (https://www. zkj.ch/angebote/uebergangsbegleitung/) ist eines dieser Angebote, von denen es inzwischen weitere mit ähnlicher Ausrichtung gibt. Daneben gibt es erste Projekte, in denen Peer-to-Peer-Beratung bzw. MentoringProgramme ausgearbeitet werden. In diesen Projekten wird die Bildung von Netzwerken von und für Care Leaver*innen unterstützt. Diese Angebote und Initiativen setzen an wichtigen Voraussetzungen für gelingende Übergänge an. Internationale Forschungsergebnisse bestätigen, dass die fortlaufende Unterstützung durch eine persönliche Bezugsperson zu den wesentlichen Voraussetzungen für einen gelingenden Übergang zählt. Für Care Leaver*innen ist es wichtig, dass sie auf die Unterstützung von für sie wichtigen Menschen zurückgreifen können. Dies können Menschen aus der Herkunftsfamilie, Gleichaltrige, Fachpersonen sowie weitere Personen aus formellen und informellen Unterstützungsnetzwerken sein. Des Weiteren sind der Support beim Finden von Wohnmöglichkeiten und eine verlässliche Begleitung in einer eigenen Wohnung relevante Gelingensfaktoren. Die Unterstützung beim Zugang zu Bildung sowie die Ermutigung und Förderung im Hinblick auf den bestmöglichen Bildungsabschluss erweist sich als bedeutsam. Auch das Einüben von alltagspraktischen Kompetenzen und der Selbstorganisation sind zentral für den Schritt ins Erwachsenenleben. Schliesslich ist der Zugang zu einer geeigneten Gesundheitsversorgung wesentlich für einen gelingenden Übergang. Die aktuelle Situation in der Schweiz – es gibt noch viel zu tun Der Blick auf die ganze Schweiz zeigt: Erste wichtige und sinnvolle Schritte sind getan, aber es ist noch ein weiter Weg zu flächendeckenden Unterstützungsangeboten, die systematisch zur Verfügung gestellt werden. Diese müssen für die Care Leaver*innen niederschwellig und kostenfrei zugänglich sein – auch nach ihrem Auszug aus der Pflegefamilie oder dem Heim. Die Situation und die Bedarfe der Care Leaver*innen sind in der Gesellschaft und Politik, zum Teil auch in den Organisationen, welche Unterstützung für junge Erwachsene anbieten, noch zu wenig bekannt und gesetzliche Grundlagen für Unterstützungen fehlen weitgehend. Hier setzt die Arbeit des Kompetenzzentrums Leaving Care an. Es vernetzt sich mit Akteur*innen aus Praxis, Forschung sowie Politik und Verwaltung und wird auf verschiedenen Ebenen aktiv: Das Kompetenzzentrum sammelt und bündelt Wissen, bereitet es adressat*innengerecht auf und stellt es auf seiner Website und im persönlichen Kontakt, gegenüber Medien und in Publikationen zur Verfügung. Es setzt sich für eine gesetzliche Verankerung und Finanzierung von flächendeckenden und systematischen Beratungs- und Unterstützungsleistungen ein, welche niederschwellig und bedarfsorientiert sind. Das Kompetenzzentrum übernimmt die Beratung und Unterstützung von Care Leaver*innen in Bereichen/Regionen, wo es (noch) keine Angebote gibt. Weiter unterstützt und berät das Kompetenzzentrum Fachpersonen und Organisationen in fallbezogenen Fragen, aber auch im Hinblick auf Konzeptentwicklungen. Schliesslich bietet das Kompetenzzentrum Schulungen und Inhouse-Weiterbildungen an. Weitere Informationen sind auf der Website www.leaving-care.ch zu finden. ■ LITERATUR: 2015 Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime, 14–16, 2015. https://www.zkj.ch/fileadmin/user_upload/pdf/pdf-file_2015.pdf. Thomas, Severine (2015). «Care Leaver auf dem Weg in ein eigenständiges Leben. Übergänge aus stationären Erziehungshilfen kreativ denken und begleiten.» Jugendhilfe-aktuell 2 (2015): 20–23. Sievers, Britta/Thomas, Severine/Zeller, Maren (2018). Jugendhilfe- und dann? Zur Gestaltung der Übergänge junger Erwachsener aus stationären Erziehungshilfen. Frankfurt am Main: IGFH.
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