KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2020

VERNETZUNG 01 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 42 Zum Beispiel Selina und Miguel Selina hat seit ihrer frühen Jugend mehrere Jahre in einer Pflegefamilie und während der Lehre in einer betreuten Wohngruppe gelebt. Mit 20 tritt sie dort aus, zieht zurück zu ihren Eltern und beginnt in ihrem Beruf als Fachangestellte Betreuung zu arbeiten. Zu Beginn läuft alles gut. Doch dann brechen alte Konflikte mit den Eltern wieder auf und am neuen Arbeitsplatz häufen sich die Schwierigkeiten mit der Chefin. Selina befürchtet, ihre Stelle zu verlieren. Miguel ist 16 Jahre alt, als er aus der Wohngruppe eines Heims zu seinem Vater zurückkehrt. Er hat im Heim die Schule abgeschlossen und ist motiviert, nach dem Austritt aus dem Heim eine Lehrstelle zu finden. Doch es kommt anders als gewünscht: Das Geld ist knapp, das Schreiben einer Behörde wirft Fragen auf. Zudem ist weit und breit keine Lehrstelle in Sicht. Sein Vater, bei dem er lebt, ist selbst arbeitslos, verfügt über geringe Deutschkenntnisse und kann ihm bei seinen Schwierigkeiten nicht weiterhelfen. (Beispiele aus Geschäftsbericht 2015 der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime) Selina und Miguel bekommen Unterstützung vom Angebot «Übergangsbegleitung» der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime. Sie haben beide in einem Heim der Stiftung gewohnt. Bei Miguel hat sich die Bezugsperson drei Monate nach Austritt gemeldet. Sie hat sich erkundigt, wie es ihm geht und ihn auf das kostenlose Unterstützungsangebot der «Übergangsbegleitung» aufmerksam gemacht. Selina hat sich selber bei der Übergangsbegleitung gemeldet. Mit ihren jeweiligen Coaches haben sie ihre Probleme besprechen und gemeinsam Lösungen entwickeln können. Selina und Miguel sind sogenannte Care Leaver*innen. Was sind Care Leaver*innen und wie sieht ihre Situation aus? Care Leaver*innen sind junge Menschen im Übergang in die Selbstständigkeit, die einen Teil ihres Lebens in einem Heim oder einer Pflegefamilie verbracht haben und nun vor dem Auszug stehen oder sich bereits im Übergang ins Erwachsenenleben befinden. Der Austritt aus dem Heim oder das Verlassen der Pflegefamilie stellt für Care Leaver*innen einen von mehreren Übergängen dar. Hinzu kommen die Übergänge, die für alle jungen Menschen zum Erwachsenwerden gehören. Die jungen Erwachsenen ziehen in eine eigene Wohnung und führen einen eigenen Haushalt, sie nehmen eine Berufstätigkeit auf oder absolvieren Ausbildungen, sie werden finanziell eigenständig, haben neue Rechte und Pflichten als Erwachsene, gründen eine Familie oder eine Partnerschaft und bauen ein eigenes, von der Herkunftsfamilie unabhängiges soziales Netz aus. Care Leaver*innen sind beim Übergang in die Selbstständigkeit tendenziell schlechter positioniert als ihre gleichaltrigen Peers, welche in ihren Familien aufwachsen. Dies hat strukturelle Gründe. So werden Heim- und Pflegefamilienaufenthalte in den meisten Kantonen der Schweiz nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit finanziert. Weiter müssen Care Leaver*innen wichtige Übergänge (Wohnen, soziales Umfeld, Einstieg in Berufstätigkeit oder Ausbildung) gleichzeitig bewältigen. Mit anderen Worten: Care Leaver*innen wird eine kürzere Jugend zugestanden als anderen jungen Menschen! Zudem sind die Unterstützungssysteme in der Schweiz Das Kompetenzzentrum Leaving Care – die Unterstützung für Care Leaver*innen muss verbessert werden KOMPETENZZENTRUM LEAVING CARE, BERN MARIE-THÉRÈSE HOFER FACHMITARBEITERIN BEATRICE KNECHT KRÜGER LEITERIN NATASCHA MARTY FACHMITARBEITERIN Korrespondenzadresse: info@leaving-care.ch Das Kompetenzzentrum Leaving Care setzt sich für die Chancengleichheit von Care Leaver*innen beim Übergang aus der Pflegefamilie oder dem Heim in die Selbstständigkeit ein. Care Leaver*innen sollen in der ganzen Schweiz Zugang zu Unterstützung erhalten. Vor einem Jahr ist das Kompetenzzentrum Leaving Care von den Verbänden Curaviva, Integras und PACH initiiert worden. Es wird von der Drosos Stiftung gefördert.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx