01 / 2020 VERNETZUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 41 Chancen Neben den Schwierigkeiten und Unsicherheiten kann es aber auch eine Chance sein, ein Geschwister mit einer Krankheit oder Behinderung zu haben. Innerhalb der Familie können die Beziehungen stärker werden – einerseits zum Kind mit der Krankheit oder Behinderung, aber auch innerhalb der ganzen Familie («zusammen schaffen wir das») und v. a. auch zum Vater. Häufig sind es die Mütter, die mit den kranken Kindern ins Spital gehen und die Väter halten in dieser Zeit die Stellung bei den Geschwistern zu Hause. Die Väter werden von den gesunden Geschwisterkindern als Kontinuität gesehen und sie geben emotionale Unterstützung. Auch die persönliche Reife und Empathie ist bei Geschwistern von Kindern mit einer Krankheit oder Behinderung oftmals grösser. Sie setzen Prioritäten im Leben anders und bewusster. Die persönliche Sichtweise und die eigenen Ziele verändern sich. Im Familienleben haben sie ein erhöhtes Verantwortlichkeitsgefühl (D’Urso, Mastroyannopoulou, & Kirby, 2017). Bedürfnisse Für Geschwisterkinder ist es bedeutsam, dass sie ausserhalb und auch möglichst innerhalb der Familie eine gewisse Normalität leben können. Dazu gehört die Schule, welche viele Situationen bietet, welche nichts mit der Krankheit oder Behinderung zu tun haben. Dort ist es für Geschwisterkinder möglich, sich wie andere Kinder zu fühlen. Die Schule gibt eine Routine zurück, welche mit der Zeit auch im Familienalltag wieder eingeführt werden sollte. Dies gibt den Geschwisterkindern Orientierung und Sicherheit. LITERATUR: Alderfer, M. A., Long, K. A., Lown, E. A., Marsland, A. L., Ostrowski, N. L., Hock, J. M., & Ewing, L. J. (2009). Psychosocial adjustment of siblings of children with cancer: a systematic review. Psycho-Oncology, S. 789–805. Barlow, J. H., & Ellard, D. R. (2006). The psychosocial well-being of children with chronic disease, their parents and siblings: an overview of the research evidence base. Child: Care, Health and Evelopment, S. 19–31. D‘Urso, A., Mastroyannopoulou, K., & Kirby, A. (2017). Experiences of posttraumatic growth in siblings of children with cancer. Clinical Child Psychology and Psychiatry, S. 301–317. Evans, J., Jones, J., & Mansell, I. (2001). Supporting siblings. Journal of Learning Disabilities, S. 69–78. Lohaus, A., & Heinrichs, N. (2013). Psychosoziale Belastungen bei chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. In A. Lohaus, & N. Heinrichs, Chronische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter (S. 15–31). Weinheim: Beltz . Wilkins, K. L., & Woodgate, R. L. (2005). A review of qualitative research on the childhood cancer experience from the perspective of siblings: A need to give them a voice. Journal of Pediatric Oncology, S. 305–319. Das Sensibilisierungs-Projekt GESCHWISTERKINDER gibt betroffenen Kindern eine Stimme und will damit deren psychische Gesundheit und gesunde Entwicklung fördern. Der 30-minütige Dokumentarfilm gibt emotionale Einblicke in das Leben von vier betroffenen Kindern bei ihrem täglichen Spagat zwischen Rücksichtnahme, Geschwisterliebe und ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Auf eine beeindruckend ehrliche Art erzählen die Protagonisten über ihr Leben als Geschwisterkind und die Eltern über Schwierigkeiten und die eigenen Schuldgefühle. Die Broschüre gibt weitere Informationen zur Situation und den Bedürfnissen dieser Kinder und zeigt auf, wie Fachpersonen, Eltern und Bekannte die Kinder unterstützen können. Auf der Webseite sind sowohl der Film wie auch die Broschüre kostenlos zugänglich und es findet sich eine ausführliche Liste mit Literaturhinweisen und weiterführenden Links mit Vernetzungs-, Beratungs- und Entlastungsangeboten für betroffene Familien: www.geschwister-kinder.ch Broschüren zum Abgeben und Auflegen können kostenlos bestellt werden unter: info@ffg-video.ch Ein Projekt des Vereins Familien- und Frauengesundheit, FFG-Videoproduktion. Geschwister erhalten eine Stimme Mario und Olivia, © 2018, Voltafilm, Luzius Wespe Exklusive Geschwisterzeiten mit den Eltern sind nötig und steigern die Lebensqualität. Vielleicht sind hier Aktivitäten möglich, die mit dem kranken oder behinderten Kind nicht durchführbar sind. Wichtig ist, dass Geschwisterkinder gesehen werden und ihnen das Angebot für Fragen und Antworten gemacht wird. Auch jüngere Geschwisterkinder spüren die Belastung der Eltern, die Veränderungen und dass etwas nicht stimmt. Diese Veränderungen und Emotionen in der Familie sollten erklärt und benannt werden. Falls ein Kind sehr unter der Situation leidet und sein Verhalten sich stark und über eine längere Zeit verändert, sollte eine Fachperson beigezogen werden. In einer pädiatrischen Praxis oder im Kinderspital ist es wichtig, aufmerksam zu sein und die Familie auch bei Fragen zum Geschwisterkind zu unterstützen. In diversen Kinderspitälern der Schweiz gibt es zudem Geschwisternachmittage. Hier stehen die gesunden Geschwister für einmal im Zentrum, es gibt Informationen zur Krankheit und Behandlung und es gibt die Möglichkeit, andere betroffene Geschwister kennenzulernen. ■
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