KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2020

VERNETZUNG 01 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 40 Kinder mit einer Krankheit oder Behinderung können sich ihr Leben nicht aussuchen. Eltern und die gesunden Geschwister sind immer auch mitbetroffen. Jedoch wird im Alltag fast nur nach den Kindern mit der Krankheit oder Behinderung gefragt. Auch beim Kinderarzt oder im Kinderspital ist das Kind mit der Krankheit oder Behinderung im Fokus. Sie oder er ist der Patient – nach den Geschwistern wird kaum gefragt. Doch gerade in diesem Setting ist es wichtig, die Namen der Geschwister zu kennen, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und für sie zu interessieren. Für die Geschwisterkinder ist es sehr wichtig, gesehen und wahrgenommen zu werden. Gerade die Entwicklung eines guten Krankheits- und Behandlungsverständnisses hilft Geschwistern, Ängste zu reduzieren und sich besser zurechtzufinden (Houtzager et al., 2001). Umgekehrt gibt es Hinweise, dass ein Geschwister mit einem unvollständigen Verständnis der Krankheit sich schlechter an die neue Situation anpassen kann (Evans, Jones, & Mansell, 2001). Ein Geschwisterkind kann auch in die Therapie einbezogen werden, wenn sie oder er das möchte. Zum Beispiel kann ein Geschwisterkind beim Sondieren helfen. Die Balance zwischen Involvierung in die Therapie und Förderung des «normalen» Lebens ist jedoch schwierig. Belastungen und Risiken Eine unerwartete Krankheitsdiagnose ist auch für Geschwisterkinder eine grosse Belastung und zeitnah zur Diagnosestellung höher (Barlow & Ellard, 2006). Für sie ändert sich plötzlich der Alltag und die Familienroutine (Wilkins & Woodgate, 2005). Die Geschwister merken meist selbst, dass ein Zurück in das vorherige Leben nicht mehr möglich sein wird (Lohaus & Heinrichs, 2013). Allgemein sind Eltern aufgrund der Krankheit oder Behinderung sowie deren Therapie oft physisch und emotional abwesend. Geschwisterkinder können mit Gefühlen wie Traurigkeit und Hilflosigkeit reagieren und machen sich Sorgen. Jedoch auch Wut, Schuld und Eifersucht sind häufig genannte Gefühle (Alderfer et al., 2009). Geschwisterkinder haben ein mehr als zweifach erhöhtes relatives Risiko, emotionale Auffälligkeiten oder Verhaltensprobleme zu entwickeln. Die Ergebnisse sind jedoch abhängig davon, wen man befragt. Eltern berichten in Studien von grösseren negativen Effekten als die Geschwister selbst (Lohaus & Heinrichs, 2013). Geschwisterkinder Geschwister von Kindern mit einer Behinderung oder Krankheit BARBARA GANTNER FACHPSYCHOLOGIN FÜR PSYCHOTHERAPIE FSP, PSYCHOONKOLOGIN WPO, KJPD LUZERN, KINDERSPITAL LUZERN Korrespondenzadresse: barbara.gantner@lups.ch «Weil Leon behindert ist, streiten wir nie. Das ist schön.» «Manchmal hätte ich gerne einen Bruder, der nicht behindert ist.» Beides sind Aussagen von Sophie (6-jährig). Sie ist die Schwester von Leon (8-jährig) mit einer Hirnverletzung. Anja und Florina, © 2018, Voltafilm, Simon Weber

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