KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2020

01 / 2020 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 21 Traditionelle Chinesische Medizin / Akupunktur Die jahrtausendealte Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) sieht die Welt als Harmonie von Yin und Yang. Ist das Gleichgewicht gestört, wird der Mensch krank. Das Ziel der TCM ist nun, die Harmonie wieder herzustellen. Als Ursprung aller Energie wird das Qi betrachtet, welches entlang der Meridiane fliesst und die verschiedenen Organe und somit Funktionen des Körpers miteinander verbindet. Harmonie und Gleichgewicht hängen vom freien Fluss des Qi ab. Mit Akupunktur, Akupressur oder Massage können der Fluss gefördert und Blockaden gelöst, das Gleichgewicht und somit die Gesundheit können wieder hergestellt werden. Des Weiteren ist Phytotherapie ein essenzieller Bestandteil der TCM, als unter anderem Substanzen ergänzendes Element, welches Ungleichgewichte wieder ins Lot bringen kann. Die Organe, die in der TCM Funktionskreisen entsprechen, haben unterschiedliche Aufgaben und Funktionen, die teils kaum etwas mit dem schulmedizinischen Verständnis zu tun haben. Auch spielt der jeweilige Leitbahnenverlauf eine wichtige Rolle. Aus Betrachtungsweise der chinesischen Medizin handelt es sich bei dieser akuten Angina tonsillaris um ein Wind-Hitze-Syndrom mit Toxinen. Betroffen ist der Funktionskreis Lunge, auch müssen Magen und Dickdarm einbezogen werden. Der Funktionskreis Lunge beherrscht unter anderem das Qi. Somit hat die Lunge sehr viel mit unserer Abwehrfunktion zu tun und spielt eine wichtige Rolle für die Entstehung oder Therapie der Angina. Zudem verläuft die Lungensonderleitbahn zum Hals, wo sie sich mit der Dickdarmleitbahn verbindet. Die Punkte der Dickdarmleitbahn sind wichtig zur Beseitigung von Wind-Hitze, vor allem im Bereich des Kopfes. Magen- und Dickdarmleitbahnen sind gekoppelt und die Akupunkturpunkte eignen sich zur Therapie von Kopf- und Hals-Rachen-Erkrankungen. Vom Prinzip her geht es nun darum, die Ursache zu behandeln, was bedeutet, den Wind zu vertreiben, die Hitze zu klären und Schwellungen zu zerstreuen. Als zusätzliche diagnostische Mittel betrachte ich die Zunge und den Puls aus Blickwinkel der chinesischen Medizin, was mir weitere Hinweise gibt. Anhand der obigen Angaben zu Anamnese und Status erwarte ich keine weiteren zugrundeliegenden Pathologien. Ich persönlich hätte Paul hauptsächlich mit Akupunktur behandelt. Hierfür kann ich je nach Symptomatik und Ausprägung der Symptomatik verschiedene Schwerpunkte legen. Bei unserem Patienten würde ich zur raschen Schmerzerleichterung den Punkt Lunge 11 nadeln (Mikroaderlass). Zur Entfernung der Hitze Dickdarm 4 und Magen 44, zudem empfiehlt sich der Lokalpunkt für die Tonsillen 3 Erwärmer 17. Meiner Ansicht nach sind dies Punkte, die man bei einer komplikationslosen Angina tonsillaris als Standard mit sehr gutem Erfolg gut nadeln kann. Am Folgetag bestelle ich Paul erneut in meine Praxis, damit ich den Verlauf beurteilen und, gegebenenfalls meine Therapie anpassen kann; ich nadele ihn nochmals. Ich rechne damit, dass es Paul schon deutlich besser geht und erkläre der Mutter und Paul, wie sie selber mittels Akupressur behandeln können. Paul soll jeweils die Punkte während etwa einer Minute kreisend drücken und das mehrmals täglich wiederholen. Ich vereinbare eine telefonische Verlaufskonsultation für den Folgetag, damit ich den Jungen gegebenenfalls nochmals einbestellen und nochmals akupunktieren kann. Diskussion und Schlussfolgerung Der dargestellte klinische Fall beschreibt die klassische Präsentation einer akuten Streptokokken-Angina (Tonsillopharyngitis durch GABHS) bei einem 8-jährigen Knaben. Vor Änderung der Guidelines im September 2019 hätte man hier bei einem Centor-Score von 4 einen Rachenabstrich und Streptokokken-Schnelltest durchgeführt und bei positivem Resultat eine antibiotische Behandlung mit Penicillin oder Amoxicillin verordnet. Auf Grundlage der neuen Empfehlungen kann im vorliegenden Fall auf Rachenabstrich und Antibiotika verzichtet werden [1]. In diesem Artikel beschreiben vier erfahrene Praxispädiater, wie sie in einem entsprechenden Fall unter Einbezug ihrer komplementärmedizinischen Kenntnisse und Erfahrungen vorgehen. Es handelt sich dabei explizit nicht um Konsensusvorschläge der jeweiligen komplementärmedizinischen Richtung, sondern um einen exemplarischen Einblick in die alltägliche individuelle Praxis. Allen Darstellungen gemeinsam ist dabei der primäre Verzicht auf Antibiotika. Dazu kommt, dass durch die Anwendung von verschiedenen bewährten komplementären Therapiemassnahmen und Arzneimitteln die symptomatische Behandlung mit Analgetika/Antipyretika wirksam ergänzt werden kann, was häufig zu einer Einsparung der letzteren Mittel führt. Berücksichtigt man hier die Bedeutung des Fiebers für eine effektive Immunreaktion und Infektabwehr, dann kann man diesem Effekt durchaus eine grosse Bedeutung beimessen. Darüber hinaus kann man feststellen, dass sich die Therapieempfehlungen hauptsächlich am Krankheitsbild sowie an den Symptomen und Ressourcen des Patienten orientieren und dass der Infektionserreger in den therapeutischen Überlegungen in der Regel keine primäre Rolle spielt. Die im klinischen Alltag oft schwierige (mühsame) Unterscheidung zwischen viralen und bakteriellen Infektionen rückt in den Hintergrund. Die vier dargestellten Behandlungswege beschränken sich demnach nicht auf die Tonsillopharyngitis durch GABHS, sondern können prinzipiell auch bei den viel häufigeren viralen Halsentzündungen angewendet werden. Obwohl der Fokus des Artikels auf den komplementärmedizinischen Strategien liegt, soll damit keinesfalls

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