FORTB I LDUNG 01 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 18 Einleitung Im September 2019 wurde von der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie die neue Guideline zur Tonsillopharyngitis publiziert [1], die infolge eines aktuellen Übersichtsartikels im Swiss Medical Forum [2] revidiert und an die Empfehlungen anderer europäischer Länder angepasst wurde. Während die Aktualisierung der entsprechenden PIGS-Empfehlung noch aussteht [3], wurde das Thema in der letzten Ausgabe der Kinderärzte.Schweiz News bereits ausführlich diskutiert [4]. Als wichtigste Neuerung fällt die zwingende Antibiotikaindikation bei Streptokokken-Nachweis und unkompliziertem Verlauf weg. Zudem sollte ein Rachenabstrich (Schnelltest) nur erwogen werden, wenn eine Antibiotikatherapie in Betracht gezogen wird [1]. Damit wurde nun auch für diese häufige Infektionskrankheit ein Schritt hin zu einem rationaleren Einsatz von Antibiotika geleistet, der ganz im Einklang mit der nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) des Bundes steht [5]. Hier kann nun ein therapeutisches Dilemma entstehen, wenn als einzige symptomatische Therapie nur lokale und/oder systemische antiinflammatorische bzw. analgetische Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Situation ist allerdings von den häufigeren viralen (Tonsillo-) Pharyngitis-Fällen bestens bekannt. Tatsächlich kennt wohl jeder erfahrene Praxispädiater diverse Hausmittel, die zusätzlich zur Symptomlinderung eingesetzt werden können. Gerade komplementärmedizinisch ausgebildete Kollegen/-innen verfügen oft über ein breites Spektrum an bewährten Therapieoptionen, die je nach Arzt- und Patientenpräferenz angewendet werden. Welchen Beitrag komplementäre Therapien ganz allgemein zur Reduktion unnötiger Antibiotikagaben und damit zur Verringerung der antimikrobiellen Resistenzentwicklung beitragen können, ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen [6]. Am Krankheitsbild der akuten Tonsillopharyngitis soll in diesem Artikel exemplarisch dargestellt werden, wie Praxispädiater mit einer Zusatzweiterbildung in jeweils einer der vier in der Schweiz anerkannten komplementärmedizinischen Richtungen (Anthroposophische Medizin, Homöopathie, Phytotherapie, Traditionelle Chinesische Medizin/Akupunktur) diagnostisch und therapeutisch vorgehen. Neben den aus der Erfahrung der jeweiligen Experten in der Praxis bewährten Behandlungsoptionen sollen dabei gerade auch methodische Aspekte der jeweiligen Therapierichtung ansichtig werden. Dass bei diesem Vorhaben für eine umschriebene Krankheit verschiedene Therapiekonzepte nebeneinander zur Darstellung kommen, ist nur scheinbar ein Widerspruch zu einer guten und wissenschaftlichen Medizin. Die darin zum Ausdruck kommenden vielfältig bewährten Methoden der Erfahrungsheilkunde belegen gleichzeitig den real existierenden Methodenpluralismus in der Medizin, der dem modernen Bedürfnis vieler Patienten weit mehr gerecht wird als eine «one-size-fits-all»-Strategie, bei der individuelle Aspekte und Bedürfnisse von Arzt und Patient kaum eine Rolle spielen. Fallbericht Der 8-jährige Paul wird von seiner Mutter notfallmässig in der Sprechstunde vorgestellt. Während er gestern Mittag noch fit von der Schule heim kam, war er im Laufe des Nachmittags plötzlich erkrankt mit Fieber bis 40,5 °C, Schüttelfrost, Kopfschmerzen sowie einmaligem Erbrechen. Bereits am Abend habe Paul über Schluckbeschwerden geklagt und nichts mehr essen wollen. Nach einer etwas unruhigen Nacht sei er amMorgen mit starken Schluckbeschwerden erwacht und habe sich weiterhin heiss angefühlt (Temp. 38,9 °C), kein Schnupfen oder Husten. Umgebungsanamnese unauffällig. Die persönliche Anamnese ist nahezu bland bis auf eine einmalige akute Mittelohrentzündung im Kleinkindesalter. Paul ist regulär geimpft, er hat keine Allergien und nimmt keine Medikamente. Er hat zwei jüngere Schwestern, 5- und 2-jährig. Er besucht seit letztem Sommer die zweite Klasse und spielt in seiner Freizeit Fussball. In der klinischen Untersuchung zeigt sich ein etwas geschwächter blonder Knabe, der auf Fragen kurze, differenzierte Antworten gibt. Bis auf die roten Wangen eher blasses Kolorit. Gewicht 24 kg (P 50–75), Temp. 40,1 °C. Bei der Racheninspektion zeigen sich ein hochroter Pharynx sowie symmetrisch vergrösserte und hyperämische Tonsillen mit lakunär aufgelagertem, gelblichem Exsudat. Die übrigen Schleimhäute sind reizlos, keine Hautveränderungen oder Exanthem. Die angulären und submandibulären Lymphknoten sind vergrössert und druckdolent, die übrigen Lymphknotenstationen sind frei. Kopfbeweglichkeit ohne Einschränkung, kein Meningismus. Trommelfelle beidseits reizlos, Herz-, Lungen- und Abdomen-Untersuchung unauffällig, insb. keine Hepatosplenomegalie. Gelenkstatus bland. Aufgrund der Angaben der Mutter hatte die medizinische Praxisassistentin in Unkenntnis der neuen Guidelines vor der Arztkonsultation bereits einen Rachenabstrich durchgeführt, der Streptokokken-Schnelltest ist positiv. Beurteilung: akute Tonsillopharyngitis durch Gruppe A beta-hämolysierende Streptokokken (GABHS). Anthroposophische Medizin Aus Sicht der anthroposophisch erweiterten Menschenkunde steht zunächst die ärztliche Beratung im Vordergrund. Die Mutter sollte beruhigt und aufklärt werden, Komplementäre Therapieansätze bei akuter Tonsillopharyngitis BENEDIKT M. HUBER1 , HEINER FREI2 , LUCIEN SIMMEN3 , ERIKA SUESS4 , BERNHARD WINGEIER5 Korrespondenzadresse: benedikt.huber@h-fr.ch 1 Zentrum für Integrative Pädiatrie, Klinik für Pädiatrie, HFR Freiburg-Kantonsspital, Freiburg 2 Praxis für integrative Pädiatrie, Laupen 3 Praxis für Kinder- und Jugendmedizin, Brugg 4 Schlossberg Ärztezentrum Matzingen, Matzingen 5 Abteilung Kinder- und Jugendmedizin, Klinik Arlesheim, Arlesheim
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