KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2020

01 / 2020 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 17 programme vom Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF), die nach abgeschlos- sener Facharztweiterbildung zum Erwerb des entspre- chenden Fähigkeitsausweises führen [6]. Wie in anderen Ländern ist auch in der Schweiz die Nachfrage bzw. Nutzung von Komplementärmedizin bei Kindern und Jugendlichen generell hoch [7]. Ge- mäss einer direkten Befragung von Schweizer Kin- derärzten werden sogar fast alle Pädiater (97%) von Patienten bzw. deren Eltern nach Behandlungsmöglich- keiten aus dem Bereich der Komplementärmedizin ge- fragt [1]. Auch wenn man selbst keine komplementä- ren Therapien anbietet, ergibt sich aus dieser Nachfrage ein gewisser Bedarf nach Grundkenntnissen zu komple- mentärmedizinischen Themen bei Kinder- und Jugend- ärzten, die für viele Familien ja die primären Ansprech- partner zu allen Fragen rund um Gesundheit, Krankheit und Entwicklung sind. Tatsächlich wünschen sich zwei Drittel der Pädiater in der Schweiz (mehr) Fortbildun- gen zu Themen der komplementären und integrativen Medizin [1]. Dazu möchte auch die Schweizerische Inte- ressengruppe für integrative Pädiatrie (SIGIP) beitragen, die vor 3 Jahren nach dem Vorbild der Section on integ- rative medicine der American Academy of Pediatrics ge- gründet wurde [8]. Zudem besteht ein grosser Bedarf für mehr Forschung in der komplementären und integrativen Medizin in der Pädiatrie. Diese sollte neben den bestehenden Struktu- ren der Universitätsspitäler und Forschungszentren un- bedingt auch die Praxispädiater miteinbeziehen, ana- log zu der heute zunehmend etablierten Forschung im Bereich der Hausarztmedizin. So können verschiedene Bereiche und Fragestellungen der integrativen Pädia- trie nach den Prinzipien der evidenz-basierten Medizin untersucht werden [9]. Die vielfach noch ungenügende wissenschaftliche Evidenz für komplementäre Therapi- en und integrative Behandlungskonzepte bei Kindern und Jugendlichen spricht aber nicht a priori gegen de- ren Anwendung, sofern nicht von vornherein ein rele- vantes Sicherheitsrisiko bekannt ist. In der Praxis kann bei der Auswahl passender Therapien das Schema in Abbildung 1 hilfreich sein, in das in Ermangelung kli- nischer Studien auch die ärztliche Erfahrung einfliesst. Die wachsende Bedeutung des integrativen Ansatzes in der Pädiatrie zeigt sich nicht nur an der steigenden Zahl von integrativ tätigen Kinder- und Jugendärzten sowie der Zunahme wissenschaftlicher Publikationen auf die- sem Gebiet, sondern auch daran, dass das Thema in- tegrative Pädiatrie in den wissenschaftlichen Program- men von Fachtagungen und Kongressen auftaucht. Beispielsweise wurde diesem Thema auf den letztjäh- rigen Kongressen für Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland und Österreich eine Parallelsession bzw. eine Plenarsitzung gewidmet. Der Schweizer Pädiatrie- Kongress 2020 geht noch einen Schritt weiter, indem die integrative Pädiatrie zum Hauptthema gemacht und der Kongress unter das Motto «building bridges bet- ween conventional and complementary medicine» ge- stellt wird (mehr Infos unter https://www.bbscongress. ch/2020/sgp-2020/). ■ Tabelle 1. Begriffserläuterungen Konventionelle Medizin Die in westlichen Ländern vorherrschende wissenschaftliche Medizin (Schulmedizin, Mainstream Medizin) Alternative Medizin Therapiemethoden, die diejenigen der konventionellen Medizin ersetzen Komplementäre Medizin Therapiemethoden, die diejenigen der konventionellen Medizin ergänzen und erweitern Integrative Medizin Ganzheitlicher Ansatz einer koordinierten Anwendung von konventionellen und komplemen- tären Therapiemethoden mit einem Fokus auf interprofessionelle Zusammenarbeit REFERENZEN 1. Huber BM, von Schoen-Angerer T, Hasselmann O, Wildhaber J, Wolf U. Swiss paediatrician survey on complementary medicine. Swiss Med Wkly 2019;149:w20091. 2. McClafferty H, Vohra S, Bailey M, et al. Pediatric integrative medi- cine. Pediatrics 2017;140(3):e20171961. 3. Snyderman R, Weil AT. Integrative medicine: bringing medicine back to its roots. Arch Intern Med 2002;162(4):395–7. 4. Matthiessen PF. Pluralität – auf dem Weg zu einer integrativen Medizin? Forsch Komplementmed 2008;15(5):248–50. 5. Heusser P. East meets west – but bridging concepts are still lack- ing! Time for new steps in medical anthropology. Forsch Komple- mentmed 2015;22(5):285–7. 6. https://www.siwf.ch/weiterbildung/faehigkeitsausweise.cfm 7. Zuzak TJ, Bonkova J, Careddu D, et al. Use of complementary and alternative medicine by children in Europe: published data and ex- pert perspectives. Complement Ther Med 2013;21S:S34–47. 8. Huber BM, Ogal M, Hasselmann O, von Schoen-Angerer T. Schweizer Interessengruppe für integrative Pädiatrie. Paediatrica 2017;28(3):23–4. 9. Vohra S, Zorzela l, Kemper K, Vlieger A, Pintov S. Setting a research agenda for pediatric complementary and integrative medicine: a consensus approach. Complement Ther Med 2019;42:27–32. Ist die Therapie wirksam? Ja Nein Ist die Therapie sicher? Ja Anwendung empfehlen Anwendung tolerieren Nein Anwendung überwachen oder vermeiden Anwendung zwingend vermeiden Abbildung 1. Pragmatisches Schema als Hilfe zur Auswahl bzw. Empfehlung von Therapi- en, das für konventionelle und komplementäre Therapien gleichermassen anwendbar ist (nach [2], Übersetzung BMH).

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