KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2019

04 / 2019 BERUFSPOL I T I K K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 9 CB: Nein, beta-hämolysiernde Streptokokken der Grup- pe A sind immer penicillinempfindlich, es gibt keine heu- te vorkommenden oder bekannten Resistenzgene oder Resistenzmechanismen, die zu einer Penicillin-Resistenz der Gruppe A Streptokokken führen, ganz im Gegensatz zur Penicillin-Resistenz bei Pneumokokken oder den Re- sistenzentwicklungen von Streptokokken oder Pneumo- kokken gegenüber Makroliden oder Chinolonen.  Ziel der Antibiotikatherapie bei der Tonsillopharyngitis durch Streptokokken der Gruppe A ist die Verkürzung der Symptomdauer um 1–2 Tage. Dazu reichen 6 Tage Penicillin oder Amoxicillin (Cochrane Review Altamimi S. et al. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22895944 ; ESCMID Guideline 2012: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/22432746; SSI Guideline https://ssi.guidelines. ch/guideline/2408). Es gilt also hier andere Antibiotika als Penicillin oder Amoxicillin zu vermeiden, da sie nicht bes- ser wirken (Van Driel ML et al. 2016 https://www.ncbi . nlm.nih.gov/pubmed/27614728), wohl aber eine Resis- tenzentwicklung begünstigen können, bzw. ganz auf Antibiotika zu verzichten. KIS: ImArtikel wird beschrieben, dass die Antibiotika- abgabe bei Streptokokkeninfektionen nur eine un- wesentliche Verkürzung der Beschwerden bewirkt (ca. einen Tag). Dies widerspricht den Erfahrun- gen in der Praxis: Patienten mit einer «klassischen» Symptomatik sind nach einem, spätestens zwei Ta- gen beschwerdefrei. Kommen sie verzögert wegen der Erkrankung, so haben sie vor der Diagnosestel- lung bereits tagelang Schmerzen. Könnte es sein, dass hier auch Mischinfektionen oder Fehldiagno- sen (Virusinfekte, Dauerträger) erfasst wurden? PT: Erfahrungen in «antibiotikafreundlich» eingestellten Praxen, dass die Beschwerden mit Antibiotika rasch ver- schwinden, werden in der Epidemiologie als «Anekdoten» gewertet, deren «Wert» sehr leicht durch randomisierte Studien usw. übertrumpft wird. Das mag unsympathisch oder arrogant klingen. Aber es gibt nun mal randomi- sierte und grosse Beobachtungsstudien, die in Guidelines und Cochrane Meta-Analysen (wie in unserem FORUM Artikel erwähnt) wie folgt zusammengefasst werden: Der Effekt der Antibiotika auf die Beschwerdedauer ist «be- scheiden», «gering» bzw. «marginal». Denken Sie auch an die «antibiotikakritisch» eingestellten Kolleg/-innen, welche die Streptokokken-Angina seit vielen Jahren mit guter symptomatischer Therapie behandeln: auch sie sind der Überzeugung, dass mit ihren Methoden – also ohne Antibiotika – die Beschwerden rasch und klinisch relevant gelindert werden. Bei Patient/-innen ist das folgende Kon- zept gut untersucht, aber es wirkt auch auf Ärzt/-innen ein: Wir sind anfällig darauf, was wir gemacht haben, als wirksam wahrzunehmen (also z.B. Antibiotika) und werden in Zukunft mit dieser Erwartungshaltung wieder darauf zurückgreifen. CB: Gemäss der Cochrane Review sind 6 Tage Peni- cillin-Therapie der Tonsillopharyngitis durch Gruppe A Streptokokken ausreichend im Vergleich zu 10 Ta- gen in Bezug auf die Dauer bis zur Beschwerdefreiheit (Altamimi S et al. 2012 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/22895944 ). Alleine für die Tonsillopharyngitis durch Gruppe A Streptokokken bestand und besteht eine Indikation zur Antibiotikatherapie, Symptome bei Tonsillopharyngitis oder Halsschmerzen anderer Aetio- logie sind keine Indikation für eine Antibiotikatherapie. KIS: Bis anhin galten unbehandelte Kinder mit einer nachgewiesenen Streptokokkeninfektion drei Wochen lang als ansteckend und durften daher nicht in Kindergarten / Schule. Wie sollte dies in der Zukunft gehandelt werden? PT: Wie im FORUM Artikel erwähnt: Die Kinder sollen wieder zur Schule dürfen, wenn sie sich dazu imstan- de fühlen, mit oder ohne Antibiotika. Auch bei vira- len Erkältungen können kranke Schulkinder ihre Klas- senkameraden anstecken. Der meist milde Verlauf der Streptokokken-Angina, das kaum mehr existente rheu- matische Fieber und die durch Antibiotika kaum zu ver- hindernden Peritonsillarabszesse genügen heute nicht mehr als Begründung, alle Schulkinder mit Streptokok- kenangina antibiotisch zu behandeln. CB: Bisher waren und weiterhin sind Abstriche nur bei typischer klinischer Präsentation (Ein-Etagen-Erkran- kung, Centor oder MacIsaacs Kriterien) empfohlen und war der Schulbesuch ab 24 Stunden nach Beginn der Antibiotikatherapie möglich. Grund für diese selektive Indikation zum Abstich war, dass wir uns bewusst wa- ren, dass bis zu 20 Prozent der Kinder Träger sein konn- ten… und die gingen und gehen ja alle in die Schule. Aus diesem Grund soll dieser Schulausschluss ausser- halb von Ausbrüchen infrage gestellt werden. Zurzeit sind wir in Kontakt und besprechen diese angepassten Empfehlungen (https://ssi.guidelines.ch/guideline/2408) mit den Kantonsärzten und den Schulärzten. KIS: Wie soll man sich bei lokalen Infektionen verhalten (Streptokokken im Genital- und Anal- bereich)? PT: Wie bisher. Erysipele sollen antibiotisch behandelt werden, Abszesse sollen drainiert werden. CB: Genauso diagnostizieren und behandeln wie bisher. KIS: Was ist mit den «Herzkindern», also Kinder mit Herzmissbildungen oder -erkrankungen, – wie bisher oder auch «gelockert»? PT: Wie bisher. Im FORUM Artikel machen wir eine Aus- sage in den Red Flags, bei welchen Patientinnengrup- pen Vorsicht am Platz ist, also bei Kindern mit rheuma- tischem Fieber in der Anamnese – eine extrem kleine Gruppe von Kindern. CB: Genauso diagnostizieren und behandeln wie bisher. Die hier geführte Diskussion und die neuen Empfehlun- gen zur Tonsillopharyngitis ändern nichts an den nach wie vor gültigen Empfehlungen zur Endokarditis-Pro- phylaxe: http://www.swiss-paediatrics.org/sites/default/ files/paediatrica/vol20/n4/pdf/28-34.pdf KIS: Eine kurze Nachfrage zu den «vorsorglichen» Antibiotikarezepten an die Eltern: Geben wir nicht hiermit die Kontrolle (einer möglichst korrekten Behandlung) aus der Hand sowie die Verantwortung an die Eltern ab?

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