KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2019
BERUFSPOL I T I K 04 / 2019 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 10 PT: Siehe unseren FORUM Artikel: Der Entscheid, Anti biotika doch noch («verzögert») einzusetzen, soll ein ärztlicher Entscheid bleiben, also Kind nochmals unter- suchen oder zumindest telefonische Kontaktaufnahme mit den Eltern. CB: Nein, das soll nicht die Folge sein! Wenn Du primär einen Verlaufskontrolltermin vereinbarst, bleibt die Ver- antwortung und Führung des Kindes und seiner Eltern bei Dir. Wenn das für einmal nicht nötig ist, kannst Du darauf verzichten und nur hier ausnahmsweise ein sol- ches Rezept stellen und den Start einer Therapie bei Bedarf telefonisch auslösen. KIS: Eine prinzipielle, etwas provokative Frage: Wäre es nicht ausreichend, die korrekte Hand- habung der Indikation für eine Diagnostik (Strep A Schnelltest), die ja seit Jahrzehnten definiert ist (und in den letzten Jahren mit etlichen Punkte skalen beschrieben wurde), sehr proaktiv «in Er- innerung» zu rufen und dann bei einer allfälligen Diagnosestellung auch weiterhin konsequent zu behandeln anstatt eine sehr verwirrliche (neue) Leitlinie zu propagieren («man könnte behan- deln, muss aber nicht…»)? PT: Wir vertreten im FORUM Artikel eine differenzierte, aber sehr klare Haltung, die sich auf den europäischen Leitlinien abstützt, die schon 2012 publiziert wurden, aber in der Schweiz bisher kaum bekannt und kaum be- folgt werden: Antibiotika sind nicht indiziert um das rheu- matische Fieber oder Peritonsillarabszesse zu verhindern und der Antibiotikaeffekt auf die Symptomdauer ist be- scheiden. Wir sind es also, die verwirrt sind! Warum be- harren viele Ärzt/-innen auch heute noch – trotz Guide- lines, trotz Cochrane Meta-Analysen, trotz den guten Er fahrungen der antibiotikakritisch eingestellten Kolleg/-in- nen – auf der antibiotischen Behandlung einer Infektion, die mit guter symptomatischer Therapie gelindert wer- den kann und meist ohne Antibiotika folgenlos ausheilt? CB: Das kannst du sehr gerne weiter so praktizieren. Wir sind sehr froh, wenn das Vorgehen korrekt so ge- handhabt wird. Neu gibt es lediglich die Option bzw. die Entscheidung, in bestimmten Fällen auf die Anti- biotikatherapie primär zu verzichten. Die neue Emp- fehlung soll nicht verwirren, es bleibt alles wie es war, nur mit dem Unterschied, dass aufgrund der Evidenz und Epidemiologie nicht immer und nicht immer pri- mär Antibiotika verschrieben werden müssen und die Therapiedauer mit sechs Tagen Penicillin oder Amoxicil- lin ausreicht. Andere Antibiotika hat es nie gebraucht und daran ändert sich nichts, ebenso auch nicht an ir- gendeiner zusätzlichen Indikation für Antibiotika, die es aus unserer Sicht nicht gibt. Das neu empfohlene Vorgehen (https://ssi.guidelines.ch/guideline/2408 ) Ist ganz im Sinne von StAR (https://www.bag.admin.ch/ bag/de/home/begriffe-a-z/star.html) mit einer gezielten und restriktiven Verschreibung von Antibiotika (https:// www.antibiotika-richtig-einsetzen.ch/de/ ). KIS: Und zum Abschluss: sollten sich diese neu- en Empfehlungen fachlich durchsetzen, dann bräuchte es auch eine möglichst einheitliche Anwendung. Es ist immer äusserst schlecht, wenn im Notfalldienst etwas anderes erzählt wird als in der eigenen Praxis (und umgekehrt) oder wenn das Nachbarskind bei einem Kollegen prinzipiell anders behandelt wird. Ist in dieser Richtung etwas angedacht oder auch schon geplant (neue Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften, sehr aktive und gut begründete Informations strategie)? PT: Unser FORUM Artikel ist ein überfälliger Schritt, aber nur ein erster Schritt. Während meines Medizin- studiums (Staatsexamen Universität Zürich 1994) wur- de wiederholt die Wichtigkeit der Antibiotikabehand- lung bei Sinusitis und Otitis Media betont – heute ist die primär antibiotikafreie Behandlung dieser Infektio- nen in den Guidelines gut etabliert. Solche Änderun- gen brauchen Zeit, Geduld und intellektuelle Offenheit. Da sind auch die Fachgesellschaften, Guidelines Grup- pen und die Schulärzt/-innen gefordert. Ohne sie geht es nicht – sie müssen auch mitmachen und sich fragen, ob ihre Empfehlungen dem aktuellen Wissenstand ent- sprechen. Gute Medizin verändert sich im Einklang mit neuen Daten. Es gibt schlicht keine Daten, auf denen wir den bisherigen, reflexartigen Antibiotikaeinsatz bei Streptokokken-Angina abstützen könnten. Schon 1946 wurde im Lancet die antibiotische Prävention des rheu- matischen Fiebers infragegestellt. Die heutigen Cochra- ne Meta-Analysen und europäischen Guidelines spre- chen eine klare, antibiotikakritische Sprache. CB: Da geben wir euch Recht und wir sind daran, das ist mit ein Grund für dieses Interview. Die aktuellen Schweizer Empfehlungen sind zu finden unter https:// ssi.guidelines.ch/guideline/2408 KIS: Wir danken Philip Tarr und Christoph Berger für dieses Interview. ■ Mitdiskutieren? Mailingliste Praxispädiatrie! Ihr seid alle herzlich dazu eingeladen, zu aktuellen Themen eure Fragen und Meinungen mit euren Kollegen/-innen zu teilen. Die Mailingliste Praxis pädiatrie – eine Exklusivität für KIS Mitglieder – ermöglicht euch den nieder- schwelligen Austausch zu spezifischen Fragen in unserem Berufsalltag, wie zum Beispiel die Diskussion der neuen Empfehlungen für die Handhabung von Streptokokkeninfektionen auf der folgenden Seite. ➔ KIS Mitglieder, die daran interessiert sind, selber Fragen zu stellen und Ant- worten zu geben, können sich unverbindlich – und mit der Möglichkeit, sich jederzeit wieder ohne Erklärungen abzumelden – unter https://ibme.lists . uzh.ch/sympa/info/praxispaediatrie anmelden (danach auf der linken Seite auf «abonnieren» oder «subscribe» klicken). Nach der Aufnahme in die Gruppe könnt ihr eure Fragen von der registrierten E-Mail-Adresse ganz ein- fach mit einem entsprechenden Betreff an praxispaediatrie@ibme.lists.uzh.ch an die ganze Gruppe senden. Bei Fragen gibt euch unser Geschäftsführer Daniel Brandl gerne Auskunft: Tel. 044 520 27 12 oder E-Mail daniel.brandl@kinderaerzteschweiz.ch. Wir freuen uns auf eure Teilnahme!
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