KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2019
FORTB I LDUNG 03 / 2019 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 38 Zusammenfassung Während des Wachstums befindet sich der menschli- che Körper idealerweise in einem biologischen Gleich- gewicht, sodass intrinsische und extrinsische Einflüsse durch Adaptation der einzelnen Komponenten des Be- wegungsapparates und ihren altersabhängigen biome- chanischen Eigenschaften kompensiert werden können. Ist dies nicht der Fall, können nebst akuten Verletzungen auch Überlastungsschäden des Bewegungsapparates entstehen. Vulnerabel sind dabei, insbesondere während des pubertären Wachstumsspurts, der Wachstumsknor- pel im Bereich von Apophysen und Wachstumsfugen, aber auch die Wachstumszonen an der Wirbelsäule. Überlastungsschäden werden häufig spät erkannt und können eine aufwendige und langandauernde Behand- lung mit sich bringen und führen nicht selten zu einem vorzeitigen Karriereende. Kinder- und Sportärzte müssen sich dieser Situation bewusst sein und haben eine wichti- ge Funktion in der Früherkennung. Präventiv muss nebst altersentsprechendem Trainingsumfang und -intensität auch stets eine adäquate Erholungs- und Regenerations- zeit im Trainingsplan berücksichtigt werden. Einleitung Durch Sport können Kinder und Jugendliche ihre kör- perlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten fördern und gleichzeitig die sozialen Kompetenzen und das Selbst- bewusstsein stärken. Spass an der Bewegung gepaart mit einem gesunden Mass an Ehrgeiz soll dabei sowohl für den jungen Sportler wie auch für sein soziales Um- feld im Vordergrund stehen. Von der Geburt bis zum Wachstumsabschluss kommt es durchschnittlich zu einer Zunahme der Körpergrösse um 350% und das Körpergewicht wird verzwanzigfacht [1]. Dies führt zu altersabhängigen Veränderungen von Kraft- und Hebelverhältnissen und erfordert eine steti- ge Adaptation der einzelnen Komponenten des Bewe- gungsapparates. Sportliche Aktivitäten können die An- passungsfähigkeit des Körpers, zum Beispiel durch Kräftigung der Muskulatur oder Stärkung des Knochens, unterstützen [2]. Ohne ausreichende Erholungszeit kön- nen aber die durch repetitive sportliche Belastungen ver- ursachten Mikrotraumata von Knorpel, Knochen, Sehnen und Bändern nicht ausheilen und es kann zu Überlas- tungsschäden kommen. Obwohl die jüngsten Über- sichtsarbeiten zu diesem Thema von einer steigenden In- zidenz berichten, gibt es nach wie vor wenig konkrete Angaben über die Häufigkeit von Überlastungsschäden bei Kindern und Jugendlichen [3–7]. Dies lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass die Symptome von Überlastungen meist fluktuierend sind und dadurch sel- ten unmittelbar zu einer Sportpause oder zu einer ärztli- chen Konsultation führen. Hinsichtlich der anatomischen Lokalisation dominieren Überlastungsschäden der unte- ren Extremitäten. Altersmässig kommt es zum Zeitpunkt des pubertären Wachstumsschubes zu einer Häufung von sportbedingten Überlastungen. Mädchen sind dabei häufiger betroffen als Knaben. Gründe für die steigen- de Inzidenz werden vor allem in der frühen Fokussierung auf eine spezifische Sportart (Spezialisierung) und (zu) hohem Trainings- und Wettkampfumfang bei gleichzei- tig nicht ausreichender Erholungs- und Regenerationszeit gesehen [7,8]. Zusätzlich werden weitere, in intrinsische und extrinsische Komponenten unterteilte Risikofakto- ren unterschieden. Zu den intrinsischen Risikofaktoren zählen neben den beschriebenen wachstumsabhängi- gen Veränderungen des Bewegungsapparates auch die individuellen anatomischen Eigenschaften (Muskelmas- se, Bandlaxität, Körpergrösse), die Anfälligkeit der ein- zelnen Komponenten auf Verletzungen und die psycho- logischen Eigenschaften des jungen Athleten. Unter den extrinsischen Risikofaktoren werden Frequenz und Inten- sität des Trainings, Ausrüstung und Technik, aber auch das soziale Umfeld und dessen Einfluss auf den Sport- ler verstanden. Gerade Letzteres wird in jüngster Zeit zunehmend häufig thematisiert. Die mediale Verherr- lichung und Kommerzialisierung von Sport-Superstars und die teilweise irrationalen Preisgelder und Gehälter verleiten so manche Eltern dazu, ihre Kinder so früh wie möglich auf leistungsorientierter Basis, verbunden mit ei- ner sehr hohen physischen und psychischen Belastung, sportartspezifisch trainieren zu lassen. Dabei konnten vor allem grossflächig angesetzte Untersuchungen aus den USA und Deutschland aufzeigen, dass eine zu frühe Spe- zialisierung einerseits die Verletzungsanfälligkeit erhöht und es andererseits vermehrt zu psychischen Problemen bis hin zum sportlichen Burn-out kommen kann. Jugend- liche, die sich erst später in der Pubertät auf eine Sport- art fokussierten, hatten durchschnittlich höhere Erfolgs- chancen [9,10]. In der Folge sollen die häufigsten Überlastungsschä- den bei Kindern und Jugendlichen sowie deren aktuelle Behandlungsstrategien geschildert werden. Obere Extremitäten Überlastungsschäden der oberen Extremitäten sind zwar seltener als an den unteren Extremitäten, gewin- nen jedoch durch die steigende Popularität von Ball- und Wurfsportarten aus den USA auch bei uns in Mit- teleuropa zunehmend an Bedeutung. Proximaler Humerus: Bei Wurfsportarten ist die Wachs- tumsfuge am proximalen Humerus repetitiv hohen Belas- tungen ausgesetzt und es kann zu einer partiellen Epi- physiolyse mit Aufweitung der Fuge kommen. Gerade in den USA besonders häufig betroffen sind jugendli- che Baseball-Spieler aus den Nachwuchsligen, was zum Begriff der «Little League Shoulder» geführt hat. In der Anamnese werden oft unspezifische, im Verlauf zuneh- mende und vorwiegend belastungsabhängige Schulter- schmerzen beschrieben. Klinisch imponieren nebst einer Overview Überlastungsschäden DR. DANIEL STUDER SPEZIALARZT ORTHOPÄDIE UNIVERSITÄTSKINDERSPITAL BEIDER BASEL, BASEL Korrespondenzadresse: daniel.studer@ukbb.ch PROF. CAROL C. HASLER CHEFARZT ORTHOPÄDIE UNIVERSITÄTSKINDERSPITAL BEIDER BASEL, BASEL Korrespondenzadresse: carolclaudius.hasler@ukbb.ch Dieser Artikel wurde erstmals in «Swiss Sports & Exercise Medicine», 65 (3), 12–15, 2017 publiziert. Wir reproduzieren den Text mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin.
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