KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2019

03 / 2019 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 17 2.1.1 Erhöhter Energieverbrauch Im Nachwuchs-Leistungssport werden sowohl Trai- ningsumfang als auch Intensität stetig erhöht. Die Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche, die Dauer der Trainings und die Anzahl der Wettkämpfe nehmen zu. Dadurch erhöht sich der Energieverbrauch erheb- lich. Um ein Energiedefizit verhindern zu können, muss die Ernährung dem Verbrauch stetig angepasst wer- den. 2.1.2 Ungenügende Energiezufuhr – unbewusst oder absichtlich Durch die vielen Trainingseinheiten, die Zunahme der Schullektionen pro Woche, die Wege zu und von den Trainingsstätten fehlen häufig die Möglichkeiten zu ei- ner geregelten Einnahme der Mahlzeiten. Dies kann zu unbewusster ungenügender Energiezufuhr führen.  Eine absichtliche ungenügende Energiezufuhr kann viele Ursachen haben. Der Wunsch schlanker und damit schöner zu sein, ist häufig in den ästhetischen Sportar- ten zu beobachten. In den Ausdauersportarten erreicht man mit tieferem Gewicht initial oft bessere Resultate. Einer tieferen Gewichtsklasse zugeteilt zu werden, kann einen Wettbewerbsvorteil bringen. Auch dies führt zu einem Energiedefizit verursacht durch Sport.  Aber auch psychische Probleme insbesondere wäh- rend der Pubertät und der Adoleszenz können, wie bei allen anderen Jugendlichen auch, zu einem absichtlich herbeigeführten Energiedefizit führen. Diese Ursachen werden hier nicht behandelt, da sie nicht der Definition eines RED-S entsprechen. 2.1.2.1 Unbewusste ungenügende Energiezufuhr Bei dieser Form reichen in der Regel eine Beratung und eine oder mehrere Nachkontrollen. Die Beratung kann vorerst durch den Arzt erfolgen. Es sollen die Funktio- nen der Nahrungsmittelgruppen (Kohlenhydrate, Pro- teine, Fette) mit praktischen Beispielen erklärt werden. Dann gilt es, die Empfehlungen den jeweiligen Alltags- gegebenheiten anzupassen. Gibt es in der Schule eine Mensa mit vollwertigen Mahlzeiten? Ist es notwendig, dass Mahlzeiten vorgekocht und mitgenommen wer- den müssen? Wird im Auto oder im Zug gegessen? Oft- mals macht es Sinn, eine Sporternährungsberaterin bei- zuziehen. 2.1.2.2 Absichtlich herbeigeführte ungenügende Energiezufuhr Bei absichtlicher Gewichtskontrolle im Sinne einer Ge- wichtsabnahme oder -stagnation besteht der Verdacht auf ein gestörtes Essverhalten. Das Spektrum gestör- ten Essverhaltens reicht von leichtem Fehlverhalten über Orthorexie (übertriebene Beschäftigung mit gesunder Ernährung) bis zum Vollbild einer Essstörung wie der Anorexia nervosa und der Bulimia nervosa.  Die Ursachen für eine Essstörung bei Athleten sind wie bei allen übrigen Patienten multifaktoriell. Die rein psychischen Ursachen werden im Rahmen dieses Arti- kels nicht behandelt.  Im Sport, vor allem aber in den erwähnten Risiko- sportarten, kann ein tiefes Körpergewicht initial Vor­ teile bringen, sei dies bezüglich Ästhetik oder Leistungs- fähigkeit. Damit kann auch eine Essstörung zu einem RED-S führen. 3. Differenzialdiagnose Essstörungen Die Liste der somatischen Differenzialdiagnosen bei ei- nem Perzentilenverlust ist sehr lang und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wichtig ist sicherlich die Unterscheidung zwischen einem RED-S und einer isolierten psychisch bedingten Essstörung (vor allem Anorexia nervosa und Bulimie). 3.1 Diagnose der Essstörungen Gestörtes Essverhalten zu erkennen, kann schwierig sein, gehört jedoch zum pädiatrischen Alltag.  In die Anamnese eines Athleten gehören Fragen nach der Ernährung (Diät, vegetarisch, vegan), nach dem Ge- wichtsverlauf und nach absichtlichem Gewichtsverlust oder -zunahme. In den Unterlagen von Swiss Olympic («Erstes sportmedizinisches Interview»; «Sportmedizini- sches Verlaufsinterview») sind die entsprechenden Fra- gen in Kapitel 5 bzw. 3 aufgeführt [8]. Auch die Fra- ge nach einem persönlichen Wunschgewicht inklusive zu den Gründen dafür kann wegweisend sein. Weisen die Antworten auf eine mögliche Essstörung hin, sind vertiefende Fragen nach Ernährungsgewohnheiten und Körperschema nötig (z. B. ob gewisse Körperpartien als zu dünn / zu dick empfunden werden, oder wie sich die Patientin bei Gewichtszunahme von 1 kg fühlen wür- de). Bei Athletinnen gehören Fragen nach dem Mens­ truationszyklus in jede Anamnese.  Bei jeder Konsultation eines Leistungssportlers ist auf den Verlauf von Grösse, Gewicht und BMI zu achten, Pubertätsentwicklung sowie Menarche und Zyklus sol- len dokumentiert werden. Wird ein Abweichen von der Norm festgestellt, kann dies ein erster Hinweis auf ein gestörtes Essverhalten sein. Zu beachten ist, dass das Gewicht durchaus im Normbereich sein kann. Athleten weisen in der Regel eine grössere Muskelmasse auf als vergleichbare Nichtsportler und dementsprechend ei- nen tieferen Körperfettanteil. Mit der Pubertät wird bei Sportlern deshalb eher eine Zunahme der Perzentilen erwartet als ein konstanter Verlauf oder sogar eine Ab- nahme. Der Verlauf der BMI-Kurve ist deshalb ein wich- tiges, einfaches und ökonomisches Puzzleteil auf dem Weg zur Diagnose einer Essstörung.  Im Status soll nach typischen Hinweisen für eine Ess- störung gesucht werden, wie Lanugobehaarung, küh- le Peripherie, verzögerte Mikrozirkulation, vergrösserte

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx