K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 49 02 / 2019 ERFAHRUNGSBER I CHT Am 14. März 2019 fand im Kunst- und Kulturhaus Visavis in Bern der erste KIS-Kurs zum Thema Bilderbücher statt. Im gemütlichen Gewölbekeller, gefüllt mit vielen Büchern der Referenten und des «Chinderbuechlade», herrschte freudige Erwartung – oder wie es eine Kollegin so treffend ausdrückte «Ich liebe Kinderbücher und darf mir heute einen ganzen Tag leisten, um mich nur damit zu beschäftigen – und dann ist das auch noch eine richtige offizielle Fortbildung!». Sabine Zehnder stellte diverse Kinderbücher unter verschiedenen Gesichtspunkten vor (einfach «schöne» Bücher fürs Wartezimmer, Such- und Wimmelbücher, Bücher zum Ablenken sowie Bücher, die sie gezielt therapeutisch oder zum Kommunikationsaufbau in der Sprechstunde nutzt, z. B. zu verschiedenen Themen wie Aufklärung, Beziehung etc.) und erläuterte, wie sie selber Bücher bei sich in der Praxis einsetzt: eine Möglichkeit ist es, den Eltern gezielt ein Buch in die Hand zu geben, um die Wartezeit auf die Kinderärztin im Sprechzimmer zu überbrücken, so kann sie gezielt auch Inhalte vermitteln. Wenn sich erst im Rahmen der Konsultation ein Thema ergibt, ermöglicht sie den Eltern oft im Anschluss noch, das Buch vorzulesen, verleiht aber keine Bücher. Auch interessant war der Ansatz, Bücher als Eisbrecher einzusetzen, wenn es schwierig ist, mit den Kindern in Kontakt zu kommen. Dazu stellte sie das Buch «Frag mich» von Antje Damm vor, das sie durchblättert, bis das Kind «stopp» ruft und es dann die Frage auf der entsprechenden Seite (z. B. «Was möchtest du gut können?» oder «Was würdest du einem Obdachlosen schenken?») beantworten lässt – die Kinder würden es lieben, bestimmen zu dürfen, und sie habe eingeführt, dass Medizinstudenten den Kindern auch erst mal drei Fragen stellen müssten, bevor sie das Herz abhören dürften… Spannend auch der Ansatz, in der 10-Jahres-Kontrolle den Kindern eine Frage aus dem Buch «Klär mich auf» von Katharina von der Gathen/Anke Kuhl zu stellen (z. B. «Warum bluten Frauen aus der Scheide?»), um abschätzen zu können, auf welchem Wissensstand die Patienten schon sind und um ins Gespräch zu kommen. Nach dem Mittagessen war Lorenz Pauli dran! Der bekannte Kinderbuchautor begann seinen überaus unterhaltsamen und mit vielen Geschichten gespickten Vortrag mit einer Darbietung ohne Worte. Gemeinsam mit uns diskutierte er seine Vorstellung davon, was man mit Büchern vermittelt, nach welchen Kriterien man Geschichten auswählt und dass es darum geht, die Geschichten zu geniessen – dazu muss nicht jede Geschichte etwas beibringen, es muss auch nicht immer «political correctness» herrschen und «nicht jede Geschichte muss SUVA-geprüft und TÜV-zertifiziert» sein. In Geschichten dürfen Kinder die Blumenvase leertrinken oder gefährliche Dinge tun, sein Sohn habe z.B. in Karlsson vom Dach die Stelle geliebt, in der er sagt «mir ist langweilig, lass uns Stühle aus dem Fenster werfen». Und er warnte: «Geschichten sind Versprechen: Wenn statt Handlung nur Moral vermittelt wird, ist das Missbrauch.» Er als Meister des Geschichtenerzählens gab uns aber auch den Tipp mal anzufangen, Kindern ein Buch vorzulesen, dann aber einmal zu schweigen und zu schauen, was die Kinder selbst daraus machen. Den Abschluss bildete wieder Sabine Zehnder mit verschiedenen anschaulichen Beispielen wie Familien mit Emotionen, z. B. Wut oder Trauer, umgehen können. Dabei stellte sie nicht nur Bücher vor, sondern berichtete auch aus ihrem Praxisalltag, in dem sie mit den Familien verschiedene Coping-Strategien erarbeitet. In Erinnerung bleibt ein von Blanche Hodler perfekt organisierter Kurs in inspirierender Atmosphäre, der neue Sichtweisen nicht nur auf Erzählen, Bücher und Geschichten eröffnete. ■ DR. MED. KERSTIN WALTER, MITGLIED DER REDAKTIONSKOMMISSION, BERN Korrespondenzadresse: kerstin.walter@web.de Zum kreativen Gebrauch von Bilderbüchern in der Praxis «Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Geschichte und dem vielen drum herum? (…) Eine Geschichte betritt man wie durch eine Tür, man wohnt eine Weile darin, man liebt, man leidet, man lacht und so fort, und dann verlässt man die Geschichte wieder» J. Schubiger, «Überall ist leicht zu verpassen», 2012. Zum Abschluss liess uns Lorenz Pauli auch noch aus mit Magneten bestückten Tischtennisbällen Augen basteln, aus denen sich mit einem Gummihandschuh blitzschnell eine Handpuppe zaubern lässt. (Illustration: Kerstin Walter)
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