KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2019

FORTB I LDUNG 02 / 2019 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 40 «Wenn jemand stirbt, den man lieb hat, ist das sehr schlimm. Man hat dann mit einer Menge von Gefühlen zu tun und jeder fühlt was anderes. Der eine fühlt Wut, der andere weint viel und manche weinen gar nicht. Wieder andere albern sogar herum und tun so, als wäre nichts passiert. Man nennt das Trauern, und jeder trauert anders. Beim Trauern ist alles erlaubt! Kein Gefühl, das ihr dabei habt, ist falsch. Wirklich keins! Ihr müsst wegen eurer Gefühle niemals ein schlechtes Gewissen haben. Die sind, wie sie sind. Sie kommen und gehen und verändern sich. Das ist ganz normal.» Tatsächlich trauert jedes Kind anders. Zudem ist es nicht der Erwachsene, sondern das Kind, welches bestimmt, wer mit ihm über das traurige Ereignis sprechen darf. Oft sind dies nicht die Allernächsten, vor allem dann nicht, wenn diese ebenfalls von tiefer Trauer betroffen sind. Vor allem Jugendliche sprechen gerne mit Gleichaltrigen über ihre innersten Gefühle. Am einfachsten gestaltet sich Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen, welche sehr offen über das Geschehene berichten können und von sich aus Fragen stellen. Dies ist oft bei jüngeren Kindern der Fall, welche (besonders im Vorschulalter) noch an die Reversibilität des Todes glauben. Sie begegnen dem Thema Sterben und Tod noch weitgehend angstfrei und unbeschwert. Komplexer gestaltet sich die Begleitung bei betroffenen Kindern und Jugendlichen, welche sich nicht trauen, offen über das Thema zu sprechen. In diesem Falle kann man trauernden Kindern ermöglichen, ihre Emotionen non-verbal über die Symbolebene auszudrücken. In der Trauerbegleitung am Kinderspital bieten wir u.a. die Sandspieltherapie nach Dora Kalff an. Aber nicht zuletzt können Bücher den oft verwirrenden Gefühlen der Trauer Worte verleihen. Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist das Kinderbuch von Ayse Bosse und Andreas Klammt. Im Buch «Weil du mir so fehlst» ist es Ayse Bosse gelungen, die Themen Tod, Trauer und Erinnern altersadäquat, einfühlsam und humorvoll zu enttabuisieren. Gleichzeitig berührt es mit feiner Poesie. Das Buch lässt offen, wer verstorben ist und ist somit vielseitig einsetzbar. Kinder lernen, in welcher Form die Trauer kommen und gehen kann und zeigt verschiedene Möglichkeiten, mit ihr umzugehen. Nebst der grundlegenden Tatsache, dass es kein «richtiges» oder «falsches» Trauern gibt, greift das Buch die Schuldfrage auf, welche viele jüngere Kinder beschäftigt. Ein grosse «NEIN», welches durch verbinden von Zahlen entsteht, drückt unmissverständlich aus: niemand trägt Schuld, niemand hat etwas falsch gemacht, wenn jemand stirbt. Viele weitere offene Fragen, welche Kindern nach dem Tod eines nahen Menschen Sorge bereiten, werden formuliert und sind hilfreich, um abzuschätzen, ob zusätzliche Erklärungen dazu nötig sind. So wird etwa die Sorge ausgesprochen, zu wenig traurig zu sein oder die Angst, dass dieses belastende Gefühl nie mehr weichen könnte. Oder etwa die Sorge, dass einem weiteren nahen Angehörigen ebenfalls etwas Schlimmes widerfahren könnte oder andere Kinder einen meiden könnten. Wie ein roter Faden zieht sich durch das ganze Buch immer wieder ein Quäntchen Humor, das die schweren Themen aufbricht und wieder zum Schmunzeln Anlass gibt. So geniessen viele betroffene Kinder das Reinschimpfen in den Brülleimer oder werden kreativ im Erfinden von Wörtern, welche das Gefühlschaos genauer beschreiben können, wie etwa «trängstlich» (traurig + ängstlich). Abgerundet wird dieses feinfühlige Kinderbuch durch verschiedene handlungsbezogene Vorschläge und kleine Rituale, welche Trost und Hilfe während der Trauer vermitteln können. Äusserst beliebt ist unserer Erfahrung nach das Mixen eines Trost-Duftes aus ätherischen Ölen, das auch kleinsten Kindern grosse Freude bereitet. Nicht zuletzt lernen aber auch Erwachsene durch ein gutes Kinderbuch die Trauer der Kinder besser zu verstehen. Ayse Bosse und Andreas Klammt ist auch dies gelungen, und wir danken ihnen an dieser Stelle ganz herzlich für dieses wertvolle Kinderbuch. «Weil du mir so fehlst» – ein Buch fürs Abschiednehmen, Vermissen und Erinnern von Ayse Bosse und Andreas Klammt. Carlsen Verlag, 2016. ■ «Weil du mir so fehlst» – Das Kinderbuch in der Trauerarbeit MICHÈLE WIDLER UND ROSANNA ABBRUZZESE MONTEAGUDO, EIDG. ANERKANNTE PSYCHOTHERAPEUTINNEN, KOMPETENZZENTRUM PÄDIATRISCHE PALLIATIVE CARE, UNIVERSITÄTS- KINDERSPITAL ZÜRICH Korrespondenzadressen: michele.widler@kispi.uzh.ch rosanna.abbruzzese@ kispi.uzh.ch

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx