01 / 2019 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 49 In der Schweiz werden pro Jahr zwischen 90 und 200 (1–3 pro 1000) Kinder mit einer beidseitigen Schwerhörigkeit geboren, die einen relevanten Einfluss auf die Sprachentwicklung hat. Ein alleiniges Screening der Hochrisikokinder erfasste früher nur etwa die Hälfte der betroffenen Kinder. Dank dem flächendeckenden Neugeborenenhörscreening, das sich seit der Empfehlung der Arbeitsgruppe Hörscreening bei Neugeborenen der Schweizerischen Gesellschaften für ORL und für Pädiatrie von 1999 zunehmend in der Schweiz verbreitet hat, werden die meisten dieser Kinder in den ersten Lebensmonaten frühzeitig erfasst. Durch das Neugeborenenhörscreening kann der Zeitpunkt der Erfassung einer Schwerhörigkeit, die früher je nach Schweregrad meistens erst zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr oder sogar noch später diagnostiziert wurde, deutlich gesenkt werden. Heutzutage erhalten die meisten Kinder mit einer Schwerhörigkeit bereits im ersten Lebensjahr, idealerweise vor dem 6. Lebensmonat, eine Hörrehabilitation, um eine altersentsprechende Sprachentwicklung zu ermöglichen [1,2]. Gemäss den Empfehlungen für die Schweiz galt bisher das Neugeborenenhörscreening als bestanden, wenn auf einer Seite der Nachweis von otoakustischen Emissionen positiv ausfiel [1]. Demnächst wird in der Schweiz das beidseitige Hörscreening offiziell eingeführt werden. Das wirft die Frage auf, welcher Vorteil ein beidseitiges Hörscreening hat beziehungsweise welcher Nachteil ein Kind mit einer einseitigen Schwerhörigkeit haben kann, die nicht früh erkannt wird. Ein von 1000 (ca. 90) Neugeborenen pro Jahr hat in der Schweiz eine einseitige Schwerhörigkeit bei der Geburt. Die Anzahl betroffener Kinder steigt im Schulalter auf 3–6%. Seit das Neugeborenenhörscreening in vielen Ländern beidseits durchgeführt wird, werden Kinder mit einer einseitigen Schwerhörigkeit viel früher erfasst, meistens im Verlauf des ersten Lebensjahrs. In Ländern ohne beidseitiges Neugeborenenhörscreening werden die Kinder mit einer einseitigen Schwerhörigkeit in der Regel erst ab dem 5. Lebensjahr erfasst [3]. Bei Kindern mit einer einseitigen Schwerhörigkeit beträgt das Risiko einer Gehörsverschlechterung auf der betroffenen Seite bis zu 40%; die Gefahr, eine bilaterale Schwerhörigkeit zu entwickeln, liegt bei fast 20% [3]. In der Vergangenheit wurde angenommen, dass die Sprachentwicklung durch eine einseitige Schwerhörigkeit aufgrund des normal hörenden Ohres auf der Gegenseite nicht negativ beeinflusst wird. Seit Längerem ist jedoch bekannt, dass diese Kinder ein erhöhtes Risiko für schulische Schwierigkeiten haben. Unter anderem wiederholen sie häufiger die Klasse, haben schlechtere Noten, brauchen mehr Unterstützung in der Schule, weisen Verhaltensauffälligkeiten auf und erbringen schlechtere sprachliche Leistungen. Zudem führt eine einseitige Schwerhörigkeit zu einer Beeinträchtigung der Ortung von Geräuschen und zu einem verminderten Sprachverständnis bei Hintergrundlärm [3]. Neuere Studien mit Kindern mit einer einseitigen Schwerhörigkeit, die im Rahmen eines beidseitigen Neugeborenenhörscreenings schon früh erfasst wurden, zeigen, dass eine einseitige Schwerhörigkeit einen negativen Einfluss auf die Sprachentwicklung, kognitive Entwicklung und Lebensqualität hat [3]. Eine Hörrehabilitation kann das Sprachverständnis im Störlärm und die Ortung von Geräuschen verbessern [4]. Es bedarf aber noch weiterer Untersuchungen und Studien zu früh erfassten Kindern mit einer einseitigen Schwerhörigkeit, da noch nicht alle offenen Fragen beantwortet sind. Zusammengefasst besteht bei Kindern mit einer einseitigen Schwerhörigkeit das Risiko einer beeinträchtigten Entwicklung und schulischen Schwierigkeiten sowie einer Gehörsverschlechterung, weshalb aus kinderaudiologischer Sicht ein beidseitiges Neugeborenenhörscreening zur früheren Erfassung, Beratung und allfälligen Hörrehabilitation dieser Kinder sinnvoll erscheint. ■ LITERATUR [1] M.-H. Cao-Nguyen. M. Vischer. Nationales Programm des systematischen Hörscreenings von Neugeborenen mit otoakustischen Emissionen. Paediatrica. 1999;10(5):15-18. [2] Wroblewska-Seniuk KE, Dabrowski P, Szyfter W, Mazela J. Universal newborn hearing screening: methods and results, obstacles, and benefits. Pediatric Research. 2017;81(3):415-422. (Review) [3] Lieu JEC. Permanent Unilateral Hearing Loss (UHL) and Childhood Development. Current Otorhinolaryngology Reports. 2018;6(1):74-81. (Review) [4] Appachi S, Specht JL, Raol N, Lieu JEC, Cohen MS, Dedhia K, Anne S. Auditory Outcomes with Hearing Rehabilitation in Children with Unilateral Hearing Loss: A Systematic Review. Otolaryngology-Head and Neck Surgery. 2017;157(4):565-571. Das neue Neugeborenenhörscreening – beidseits hilft mehr als nur einseitig DR. MED. ARIANNE MONGE NALDI, LEITERIN PÄDAUDIOLOGIE, UNIVERSITÄTS-KINDERSPITAL ZÜRICH Korrespondenzadresse: Arianne.Monge@kispi.uzh.ch Demnächst wird in der Schweiz das beidseitige Hörscreening offiziell eingeführt werden.
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