FORTB I LDUNG 01 / 2019 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 46 Unsere Gesellschaft ist wenig über dieses Thema informiert. In diesem Artikel werden aus Sicht einer MPA die Zusammenhänge zwischen Ideen und Vorurteilen zur weiblichen Genitalbeschneidung und der meist rücksichtslosen Umsetzung in der Realität dargelegt. Weltweit sind 140 Millionen Frauen beschnitten. Alle 15 Sekunden erleidet ein kleines Mädchen dasselbe Schicksal. Die Beschneidung ist ein Ritual mit lebenslangen Folgen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert «alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen, äusseren Genitalien oder deren Verletzungen zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen nichttherapeutischen Gründen» [1] als weibliche Beschneidung. Für die Aufklärung Nichtbetroffener wird öfters der Begriff Genitalverstümmlung verwendet, um den Unterschied zur Beschneidung des Mannes hervorzuheben. Die WHO, wie auch mehrere Hilfsorganisationen haben sich auf den Fachbegriff «Female Genital Mutilation» geeinigt, der durch die gebräuchliche Abkürzung «FGM» keine wertende Begrifflichkeit enthält [2]. Auch im deutschen Sprachraum setzt sich der offizielle Begriff «Female Genital Mutilation» durch. Es gibt auch die weniger bekannte Bezeichnung «Female Genital Cutting» kurz «FGC» genannt. Unter «FGM» versteht man die teilweise oder ganze Entfernung der äusseren weiblichen Geschlechtsorgane. Die Durchführung der Beschneidung wird mit Messern, anderen scharfen Gegenständen oder Rasierklingen vorgenommen, jedoch dürfen dies nur die traditionellen Beschneiderinnen durchführen. Die betroffenen Mädchen oder jungen Frauen müssen dabei ohne Narkose und unter unhygienischen Bedingungen die Beschneidung ertragen. Die Beschneidung wird in vier verschiedene Typen strukturiert: Typ I, die Entfernung der Klitorisvorhaut: Oft wird die Klitoris teilweise oder ganz herausgenommen, die sogenannte Klitoridektomie. Dies ist die häufigste Form der Beschneidung. Typ II: «Der Typ II bezeichnet die teilweise oder vollständige Entfernung des äusserlich sichtbaren Teils der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äusseren Schamlippen» [3], dieser Typ wird auchExzision genannt. «Nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation zur Verbreitung von Typ I – II der WHO-Klassifikation sind weltweit zwischen 100 bis 140 Millionen Frauen und Mädchen an den Genitalien beschnitten (Stand 2008), in Afrika sind jedes Jahr etwa 3 Millionen Mädchen von solchen Eingriffen bedroht» [4]. Typ III: die Infibulationoder pharaonische Beschneidung gilt als extremste Form der Genitalbeschneidung. Diese Definition weist auf die Ursprünge der Tradition in Ägypten hin. Nicht nur die äusseren Genitalien, sondern auch die Klitoris, die Innenseite der äusseren Schamlippen und die inneren Schamlippen werden entfernt. «Die Wunde (wird) bis auf ein kleines Loch vernäht… Durch dieses kleine Loch sollen Urin und Menstruationsblut abfliessen» [5]. «Die Beine des Mädchens werden von der Hüfte bis zu den Knöcheln für bis zu 40 Tage zusammengebunden, damit die Wunde heilen kann» [6]. Danach treten die meisten Früh- und Spätkomplikationen auf. «Circa 15% aller betroffenen Mädchen sind pharaonisch beschnitten». [7] Typ IV: «Es gibt jedoch regional abhängig vieleMischformender genannten Typen, die unter demTyp IVzusammengefasst werden». [8] Verbindungen zwischen Tradition und Glaube «Tradition wird als wichtigster Grund für die Praxis (der Mädchenbeschneidung) angenommen.Weil die Beschneidung seit langer Zeit und an praktisch allen Frauen der Gruppe durchgeführt wird, betrachten sie die Beschneidung als festen Bestandteil ihrer kulturellen Welt». [9] Diese wird seit mehr als 2000 Jahren ausgeführt. Der genaue Ursprung dieser Tradition bleibt jedoch im Dunkeln. Es gibt jedoch klare Hinweise darauf, dass schon im alten Ägypten die Frauen beschnitten wurden. Die Vorstellung ist, die Jungfräulichkeit und Treue einer Frau durch die Beschneidung zu sichern. Die unbeschnittenen Frauen wurden und werden als unrein und unanständig betrachtet. In einigen Ethnien symbolisiert die weibliche Beschneidung die Zulassung eines Mädchens in die Frauengemeinschaft. Um die Zukunft eines Mädchens zu sichern, wird die FGM jedoch häufig schon bei Kleinkindern durchgeführt. Eine unbeschnittene Frau kann im westlichen und nordöstlichen Afrika sehr schwer verheiratet werden. Die Männer aus einfachen Verhältnissen orientieren sich meist an den befürwortenden Stimmen ihres Stammes. Dass nur eine beschnittene Frau eine anständige und treue Ehefrau sein kann, wird den Männern von klein auf eingetrichtert. Von Generation zu Generation wird weitergegeben, dass eine unbeschnittene Frau ihre sexuellen Gelüste nicht kontrollieren könne und nicht heiratswürdig sei. Eine andere Meinung kennen viele Männer nicht, demzufolge nehmen sie aus einsichtigen Gründen derartige Aussagen als richtig und wahr an. Es gibt auch einige Mythen im Zusammenhang mit der Frauenbeschneidung, welche Familien stark unter Druck setzen, ihre Töchter beDie weibliche Genitalbeschneidung ANTIGONA RUFATI, MEDIZINISCHE PRAXISASSISTENTIN, UNIVERSITÄTSSPITAL ZÜRICH, MEDIZINBEREICH FRAUKIND, REPRODUKTIONS- ENDOKRINOLOGIE, ZÜRICH Korrespondenzadresse: Antigona.Rufati@usz.ch
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