KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2019

01 / 2019 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 43 siko für frühe Schwangerschaft mit sich. Oft handelt es sich um Jugendliche aus Drop-out-Situationen in Schule, Beruf, Familien oder Institutionen. Viele Jugendliche können sie sich eine Verhütung (insbesondere sichere wie IUD oder Gestagenimplantat) nicht leisten oder bekommen sie vom Sozialamt nicht finanziert. Oft verfügen die Mädchen über keine konstante frauenärztliche Betreuung und/oder suchen immer wieder neue Praxen auf.  Aber Schwangerschaften werden auch ganz bewusst gewünscht, denn ein Kind wird zur Lebensaufgabe und ist in einer schwierigen Lebenssituation sinnstiftend. Die Jugendliche wie auch der Partner sind selber noch Kinder und befinden sich noch in einer frühen Entwicklungsphase der Adoleszenz. Risikofaktoren für TS Frühe Pubertätsentwicklung Frühe Menarche mit früher sexueller Aktivität Geringe Schulbildung Ungenügende oder zu späte Sexualaufklärung Psychosoziale Faktoren (wiederholte Beziehungs- abbrüche, Armut) Eigene Mutter mit früher Schwangerschaft Suchtproblematik Migration Sexuelle Aktivität und Verhütungsverhalten: Eine Befragung zum ersten Geschlechtsverkehr, die im Jahre 2008 durch die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ bei 1500 12- bis 20-jährigen Jugendlichen in der Schweiz durchgeführt wurde, ergab folgende Zahlen: 5% der 12-Jährigen, 18% der 14-Jährigen, 44% der 16-Jährigen und 77% der 18-Jährigen hatten in diesem Alter ihren ersten Geschlechtsverkehr hinter sich. Untersuchungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA in Deutschland ergeben ähnliche Zahlen. Knaben sind übrigens nicht später unterwegs bezüglich ihrem ersten Sex!  Gemäss Befragungen in Deutschland und Österreich sind die Verhütungspraktiken (meist Kondom) erstaunlich gut: Beim ersten Geschlechtsverkehr brauchten nur 8–13% der Jugendlichen keine Verhütung, beim folgenden Sex waren 3–7% ohne Verhütung.  Als Gründe für Nichtverhüten werden Spontaneität, kein Verhütungsmittel dabei oder der Gedanke «es wird schon nichts passieren» genannt. Einfluss von Alkohol und Drogen sind nicht zu unterschätzen. In Kulturen mit nicht toleriertem Sex vor der Ehe wird oft analer Sex praktiziert, um eine Verletzung des Hymens zu vermeiden. Häufig ist auch Coitus interruptus.  Je jünger die Mädchen sind und je weniger Selbstbewusstsein (Selbstachtung?) sie haben, um so eher wird keine Verhütung verwendet. Vor allem sehr junge Mädchen getrauen sich nicht vom Partner zu verlangen, dass ein Kondom benutzt wird.  Eine vertiefte und umfassende Sexualaufklärung in der Schule erfolgt in der Schweiz meist eher spät. Sie findet je nach Lehrplan oft erst in der 2. oder eher 3. Oberstufe statt. Ein Grossteil der Jugendlichen ist dann bereits sexuell aktiv. Das Thema sexuelle Gesundheit wird in der Schule oft nicht von Fachleuten behandelt. Das Wissen um Notfallverhütung mit der «Pille danach» ist bei vielen Oberstufenschülerinnen spärlich und wird im Sexualkundeunterricht nicht oder nur am Rande erwähnt. Der erste Sex wird circa 2–3 Monate nach Beginn der Beziehung vollzogen, der erste frauenärztliche Besuch erfolgt in der Regel 1 Jahr nach der Kohabitarche. Der Besuch bei der Frauenärztin wird aus folgenden drei Gründen gemieden: Scham wegen Untersuchung im Genitalbereich, Angst vor Schmerzen durch eine gynäkologische Untersuchung (insbesondere Spekulum) sowie Angst vor Rechnung resp. Offenlegung des Konsultationsgrundes an die Eltern. Hier zeigt sich eine Beratungslücke, die von den Pädiaterinnen, welche Jugendliche in der Praxis begleiten, gefüllt werden sollte.  Sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Aktivität von Jugendlichen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung und chronischer Krankheit werden oft von Eltern und auch von medizinischen Fachleuten unterschätzt oder ignoriert. Diese Jugendlichen haben zusätzlich noch ein erhöhtes Risiko für sexuelle Übergriffe und gerade sie benötigen dringend eine gute Beratung, Begleitung und Schutz!  Eine fehlerfreie Einnahme der Pille ist für viele Teenager schwierig. Nicht selten vergessen sie trotz Erinnerungs-App einzelne oder mehrere Pillen. Oft erfolgt auch ein verspäteter Beginn nach der 7-tägigen Pillenpause. Viele Teenager stoppen innerhalb eines Jahres die Einnahme der Pille, manchmal gefolgt von einem On-off-Einsatz, je nach finanzieller Lage, sexueller Aktivität oder Partnerwechsel. Diese Gründe sind nicht zu unterschätzen bezüglich Ursache von ungeplanten Schwangerschaften. Aber es gibt auch die «simplen» Verhütungsunfälle bei zuverlässigen Jugendlichen mit Vergessen einer Pille, bei Erbrechen oder Durchfall.  Transdermale Verhütung oder der Verhütungsring sind für Jugendliche oft zu teuer und oder sie zweifeln an deren Effektivität, da sie sich nicht vorstellen können, dass ein Hormon von Haut oder Schleimhaut Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz Frühe Adoleszenz 10-14 Mittlere Adoleszenz 14-17 Späte Adoleszenz >17 Autonomie Eigenständige Interessen Ablösung, Konflikte Höhepunkt Auseinandersetzung mit Eltern Eigenständigkeit Beziehungen Gleichgeschlechtliche Kontakte Interesse für das andere Geschlecht; Peergroup Individualität Körperwahrnehmung Verunsicherung um pubertäre Veränderungen Mit Aussehen experimentieren Attraktivität Akzeptanz des Körpers Identität Wunsch nach mehr Privatsphäre Experimentieren, Hinterfragen Akzeptanz Erwachsenenwelt Sexualität Fantasien Neugier Erfahrungen sammeln Experimentieren Stabilität, sexuelle Identität Kognition Konkret Konkret-abstrakt Abstrakt (soweit möglich) Ausbildung Unrealistische Pläne Konkrete Pläne Umsetzung Abbildung 1: Entwicklungs- aufgaben der Adoleszenz.

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