KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2019

FORTB I LDUNG 01 / 2019 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 38 Einführung Bis zu 14% aller Frauen sind von Blutungsstörungen betroffen [3]. Aufgrund von fehlendem Wissen der Jugendlichen, deren Mütter und einiger Ärzte über den normalen Zyklus in der Adoleszenz werden diese häufig spät erkannt oder erst gar nicht behandelt. Blutungsstörungen können so zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität der Betroffenen und auch zu unnötigen Schulabsenzen führen.  Das Erheben der Menstruationsanamnese sollte zum Standard bei Routinekonsultationen beim Grundversorger gehören [1, 2]. Jugendliche schätzen es sehr, wenn sie diese Themen offen besprechen können. Ab dem ersten Jahr nach der Menarche stehen dafür bereits Normwerte zur Verfügung (Tabelle 1), die in der Praxis gut verwendet werden können [9, 11, 12]. Auch wenn Blutungsstörungen aufgrund einer Unreife der Hypothalamus-Hypophysen-Ovarachse in den ersten zwei Jahren nach der Menarche häufig sind, handelt es sich hierbei um eine Ausschlussdiagnose [3]. Endokrinologische Erkrankungen, vor allem das Polycystische Ovarsyndrom und seltener Schilddrüsenerkrankungen, sollten als Ursache für Anovulationen und die damit verbundenen abnormalen Blutungen nicht verpasst werden. Auch müssen eine Schwangerschaft bzw. deren Komplikationen, sexuell übertragbare Erkrankungen sowie das Vorliegen einer Blutgerinnungsstörung als Ursache der Blutungsstörungen in Betracht gezogen werden. Epidemiologie/normale Menstruation Das Durchschnittsalter für die Menarche liegt seit einigen Jahrzehnten in den westlichen Industrieländern zwischen 12 und 13 Jahren [3, 5, 8]. 95% der Jugendlichen erleben ihre Menarche zwischen 11 und 14½ Jahren. Der besonders zu Anfang des letzten Jahrhunderts beschriebene Trend hin zu immer früheren Menarchen scheint erst einmal gebrochen. Eine starke Zunahme von Gewicht und BMI in der frühen Kindheit oder auch die Assoziation zwischen niedrigem Geburtsgewicht und starker Gewichtszunahme im Kindesalter kann bei einigen Mädchen zu einer etwas früheren Menarche führen [4]. Die normale Zyklusdauer beträgt zwischen 21 und 45 Tagen (mittlere Zyklusdauer 32,2 Tage) im ersten Jahr nach der Menarche. Gerechnet wird jeweils vom ersten Tag der Menstruation bis zum ersten Tag der nachfolgenden Menstruation. Die normale Blutungsdauer beträgt zwischen 3 und 7 Tagen. Die Frequenz der Menstruationszyklen passt sich nach und nach dem der erwachsenen Frau an. Die meisten Jugendlichen haben ab dem 3. Jahr nach der Menarche eine Zykluslänge von 21 bis 34 Tagen entwickelt. Jugendliche mit einer eher späten Menarche (nach 13-jährig) benötigen häufiger 4 bis 5 Jahre, bis 50% ihrer Zyklen ovulatorisch sind [3]. Im Durchschnitt verlieren die Jugendlichen ca. 30–40 ml Blut pro Zyklus. Als Richtwert gilt, dass die Jugendlichen dafür zwischen 3 bis 6 Binden/Tampons pro Tag bzw. 10 bis 15 Binden/ Tampons pro Menstruation benötigen. Als verdächtig für eine zu starke Blutung bzw. für ein Vorliegen einer Blutgerinnungsstörung gilt sowohl ein Wechsel von Binden/ Tampons alle 1 bis 2 Stunden, ein nächtlicher Wechsel und auch ein Abgang von grösseren Koageln (>2,5 cm Durchmesser). Die subjektive Wahrnehmung des Blutverlustes der Jugendlichen bzw. der Mutter oder auch vom Anamnese erhebenden Arzt kann dabei sehr stark vom tatsächlichen Blutverlust abweichen und führt nach der Bestimmung vom Hämoglobin und Ferritin auf beiden Seiten immer wieder zu Überraschungen. Hilfreich in der Beratung ist, dass über 50% des Menstruationsflusses durch ein endometriales Transsudat verursacht wird und nur zu 30 bis 50% aus den eigentlichen Blutkomponenten besteht. Chronischer Blutverlust von über 80 ml pro Zyklus führt zu einer Anämie. Primäre und Sekundäre Amenorrhoe Falls die Menarche zum Zeitpunkt des vollendeten 15. Lebensjahres bzw. 2½ bis 3 Jahre nach der Thelarche noch nicht eingesetzt hat, spricht man von eiBlutungsstörungen bei Jugendlichen – Grundlagen für die pädiatrische Praxis DR. MED. DORIT HOFFMANN, STV. LEITENDE ÄRZTIN JUGENDMEDIZIN / ADIPOSITAS, KANTONSSPITAL WINTERTHUR Korrespondenzadresse: dorit.hoffmann@ksw.ch Tabelle 1: Checkliste Menstruation für Pädiater Erste Pubertätszeichen spätestens 13-jährig Menarche: typisch zwischen 12 und 13 Jahren PrimäreAmenorrhoe: keine Menarche bis zum vollendeten 15. Lebensjahr bzw. 2½ bis 3 Jahre nachThelarche Zykluslänge bis 2 Jahre nach Menarche: 21–45 Tage, danach 21–34 Tage. Cave: Jugendliche mit Menarche nach 13-jährig benötigen eher länger, bis sich regelmässiger Zyklus einstellt Zykluslänge über 90 Tage (=Amenorrhoe) gehört abgeklärt Bei normaler Blutungsstärke: 3–6 Binden/Tampons pro Tag oder <10–15 Binden/Tampons pro Zyklus Blutungsdauer: 2 bis 7 Tage Verdächtig für zu starken Blutverlust (>80 ml/Menstruation): Wechsel Binden/Tampons stündlich oder auch in der Nacht erforderlich, Koagelabgang >2,5 cm Hauptgrund für AUB (Unreife Hypothalamus-Hypophysen-Ovarachse) ist Ausschlussdiagnose! Dran denken: Schwangerschaft, endokrinologische Ursachen (PCO-S, Schilddrüsenerkrankung), Blutgerinnungsstörung, Stress Nicht jede AUB muss behandelt werden. Eine ausführliche Beratung, Abgeben von Menstruationskalender, ggf. Eisensubstitution und Kontrolltermin nach 3 Monaten sind sinnvoll

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