KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2018
K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 36 JAHRESTAGUNG 2018 04 / 2018 W as ich nach der Mittagspause auf dem Weg in den Workshop wusste, war, dass ich diese «Grmpfls…» (vgl. Hauptvortrag der Jahrestagung) los- werden wollte, die mich befallen, wenn ein Patient mit längerdauernden Bauchschmerzen in der Sprechstun- de angemeldet wird. Frau Dr. Müller hat mir durch ihren Workshop einen klärenden Einblick und hilfreiche Hin- weise für das Management dieses komplexen Schmerz- syndroms gegeben. Das Hauptproblem bei funktionellen Abdominalbe- schwerden ist, dass die Kinder trotz Abklärungen kei- ne klare Diagnose erhalten und unter persistierenden Schmerzen leiden. Funktionelle Bauchschmerzen bei Kindern und Ju- gendlichen sind häufig, um 10%. Es besteht eine hohe Beeinträchtigung der Lebensqualität (der Eltern mehr als der Kinder) und die Gefahr von dysfunktionalen Be- wältigungsstrategien in der Familie (Überprotektion und Schonung, z. B. Schulabsenz, Vermeidungsverhal- ten). Der Umgang der Eltern mit den Beschwerden ist ganz entscheidend für den Verlauf. Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist, Kind und Eltern ernst zu nehmen, Ver- trauen zu schaffen und gemeinsam ein Erklärungsmo- dell zu finden für die Frage, «warum der Bauch wehtut, obwohl man nichts gefunden hat». Für die Diagnostik braucht es eine angemessene Abklärung (Zeit nehmen 30–45 Min.): – Anamnese inkl. Ernährung u. Psychosoziales, Ein- schätzung Patient, bisherige Abklärung/Therapiever- suche; – klinische Untersuchung, wenn möglich inkl. Anal inspektion/Rektalpalpation; – Basislabor («Reizdarmabklärung»): BB, CRP; Glucose; GPT, GGT, Lipase, Krea; IgA, Transglutaminase-IgA; Urinstatus; Stuhl: Calprotectin, Protozoen (Giardia lamblia), evtl. Würmer. – Die Abdomensonografie ist nicht indiziert, ausser bei konkreter Fragestellung. Funktionelle Bauchschmerzen werden eingeteilt mit den ROME IV-Kriterien: funktionelle Dyspepsie, Reiz- darm-Syndrom (irritable bowel syndrome), abdominelle Migräne, FAP-NOS (Functional Abdominal Pain – No Other Symptoms). Details sind nachzulesen. Erklärungsmodelle sind: Bio-psycho-soziales Modell: Widerspiegelt Komplexität von prädisponierenden Faktoren, Trigger- und Symptom- erhaltenden Faktoren, wobei Stress, Unsicherheit und kör- perliche Anspannung eine entscheidende Rolle spielen. Teufelskreis von chronischen Schmerzen: Körperliche Anspannung und Stress/Angst verstärken Schmerzsen- sibilität/Schmerzen und diese wiederum den Stress. Stressmodelle: Stress führt zu einer Hypersensibilität des Darmes und negativer Beeinflussung der Funkti- onen des Magen-Darm-Traktes (z. B. intestinaler Blut- fluss/Oxygenation). Social Pain: Sozialer Stress (in der Schule oder mit Be- zugspersonen) führt zu einer erhöhten Empfindlichkeit auf körperliche Schmerzen (via Aktivierung der gleichen Hirnareale). Gelerntes Verhalten: Umgang mit Schmerzen in der Familie, z. B. dysfunktionale Verhaltensweisen, werden vom Kind übernommen. Therapeutische Ansätze sind folgende: Gemeinsames Erklärungsmodell finden, die Schmerzen zuteilen/«dingfest machen»: genügt oft für eine nach- haltige Besserung. Verhaltenstherapeutische Massnahmen: Selbstwert stärken, Selbstverantwortung fördern, Bewältigungs- strategien entwickeln, evtl. mithilfe psychologischer Un- terstützung. Genügend Schlaf. Entspannung, Normale Mischkost, keine Diäten. Analgetika, Spasmolytika, Probiotika nützen nicht (Ausnahme: Probiotika nach Enteritis/bei Diarrhoe, Ma- crogol bei Obstipation, FODMAP-Diät bei Reizdarmsyn- drom hilfreich.) ■ REFERENTIN: BÉATRICE MÜLLER, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, SCHWERPUNKT GASTRO- ENTEROLOGIE, HEPATO- LOGIE UND ERNÄHRUNG, FAPPM, PRAXISPÄDIATERIN IN MÜNCHENSTEIN MODERATORIN: DR. MED. BARBARA LEHMANN-MOSER, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATERIN IN MURI BEI BERN AUTORIN: DR. MED. JACQUELINE MEYER MENZI, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATERIN IN LACHEN KORRESPONDENZADRESSE: jacmey@hin.ch Ärzte Workshop (WS 8): Gastroenterologie: Funktionelle Bauchbeschwerden – Diagnose und Therapie
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