KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018
FORTB I LDUNG 03 / 2018 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 34 te. Ein iranischer Vater erfand ein eigenes Lied für den kleinen Amir (Name geändert) – es handelt vom klei- nen Prinzen, der durch weite Landschaften reitet und den Löwen besiegt. Beim Kuscheln mit seinem Sohn summte der Vater mit seiner warmen, tiefen Stimme die Melodie. Dabei wurde die Stimmung im Raum so- fort ruhiger, und bald trauten sich auch andere Eltern, für ihr Kind zu summen. Auf diese Weise kann die Musiktherapie einen posi- tiven Kreislauf in Gang bringen: Eltern werden mit ih- rem kulturellen Hintergrund angesprochen und wert- geschätzt. Sie lernen, (wieder) auf ihre Stimme und ihre intuitiven elterlichen Kompetenzen zu vertrauen. Für sich selbst wie für ihr Kind erleben Eltern die be- ruhigenden, entspannenden oder auch aktivierenden Funktionen der auf Atmung wie Bewegungen des Kin- des abgestimmten Musik [6]. Das Zusammensein in gelöster Atmosphäre ermöglicht «synchrone Momen- te» [27], in denen das Miteinander-Sein von Eltern und Kind als angenehm erlebt wird. Dadurch wird die Fä- higkeit der Eltern zur Beobachtung und gegenseitigen Abstimmung mit ihrem Kind differenzierter. Sie sehen z. B. immer besser, wann ihr Kind Zeit für Rückzug und Verarbeitung der erfahrenen Sinneseindrücke braucht. Dieses feinfühlige, angemessene elterliche Verhalten [28] wiederum ist eine der Voraussetzungen für eine gelingende Beziehung und Bindung [6], [17], [29], [30]. Die Musiktherapeutin ersetzt oder konkurrenziert die El- tern dabei nicht. Ihre Präsenz wird als zusätzliche Bezie- hung angesehen und hilft dabei, das Selbsterleben und Wohlbefinden des Kindes und seiner Eltern zu fördern [25]. Mechthild Papousek formuliert dies folgendermas- sen: «Musiktherapie eignet sich besonders gut zu di- alogischen Interventionsformen in der Neugeborenen- betreuung. Bereits in der nach einer zu frühen Geburt oft hochbelasteten Anfangsphase der Eltern-Kind-Be- ziehung kann Musiktherapie die ersten Zwiegespräche durch ein wirksames Kommunikationsmittel anzubah- nen helfen und gemeinsame Entspannung, Freude und spielerischen Austausch ermöglichen» [31]. Die Musik- therapie im triadischen Setting kann für die Eltern stär- kend und aufbauend sein. Therapeutische Angebote, welche das gesamte Familiensystem stützen, leisten so- mit einen wichtigen präventiven Beitrag im Gesund- heitssystem [24]. Therapeutische Haltung Bedeutendster Wirkfaktor in der Musiktherapie ist die Qualität der therapeutischen Beziehung. Nur auf der Basis einer hinreichend tragfähigen Beziehung können die musiktherapeutischen Interventionen ihre Wirkung entfalten. Eine Atmosphäre der Geborgenheit, in wel- cher Sicherheit, Verständnis und Wertschätzung erlebt werden können, gilt als zentrale Voraussetzung jeg- lichen therapeutischen Handelns [19]. Die Tatsache, dass die Musiktherapie auf der neonatologischen Ab- teilung zumeist im öffentlichen Raum stattfindet, stellt besondere Anforderungen an alle Beteiligten. Seitens der Therapeutin ist eine hohe Präsenz und Konzentra- tionsfähigkeit erforderlich, um in dieser Situation eine Atmosphäre der hinreichenden Sicherheit und Ruhe zu schaffen [24]. Die Therapeutin behandelt das familiä- re Umfeld mit und bettet es therapeutisch ein [30]. Sie muss sich einerseits berühren lassen und andrerseits auch stark genug sein, den Weg des Kindes und der Familie mitzutragen [19]. Beispiel einer musiktherapeutischen Begleitung Wenn die lange Spitalzeit überstanden ist und die Fa- milie ihr Kind heimnehmen darf, so fliessen beim Ab- schied nicht selten Tränen. Während der langen Zeit des Spitalaufenthaltes hat die Familie meist viele Höhen und Tiefen erlebt. Ängste und Unsicherheiten wurden über- wunden und Meilensteine der kindlichen Entwicklung erreicht. All dies wurde mit dem Behandlungsteam (am nächsten mit den Pflegefachpersonen) geteilt, und die- se Erlebnisse schaffen bisweilen eine starke Verbindung. Stellvertretend für viele andere Familien soll hier Familie Schütz (Name geändert) vorgestellt werden. Musikthe- rapie wurde pränatal für die Mutter (zweimal wöchent- lich ist die Autorin auf der Schwangerenabteilung prä- sent) sowie nach der Geburt bis zum Spitalaustritt der Kinder für die ganze Familie angeboten. Frau Schütz war mit Zwillingen in Erwartung. Auf- grund starker Blutungen und einer Plazenta-Fehllage war sie seit der 21. Schwangerschaftswoche stationär betreut und hatte strikte Bettruhe einzuhalten. Aufgrund frühe- rer Fehlgeburten war diese Schwangerschaft mit star- ken Ängsten belegt. Entspannungs-Musik, gemeinsa- mes Singen und Musizieren für die ungeborenen Kinder sowie Gespräche über die kindliche Entwicklung waren Foto: Stephanie Scileppi, Fachkreis Musiktherapie Neonatologie
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