KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018

03 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 33 Inkubator des Kindes. Sie sind nicht mehr für Erklä- rungen oder Informationen des medizinischen Fach- personals empfänglich und empfinden die Pflege- fachpersonen als Konkurrenz im Beziehungsaufbau zu ihrem Kind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Entwicklung einer sicheren Bindung zwischen dem zu früh oder schwer kranken Neugeborenen und seinen Eltern keineswegs selbstverständlich ist. Das Erreichen von Übereinstimmung im Austausch zwi- schen Eltern und Kind bedarf unter diesen Umstän- den der Unterstützung und Begleitung [17], [18], [9]. Die Eltern-Kind-Kommunikation – ein musikalischer Dialog Die frühe Kommunikation zwischen Eltern und Kind ist von musikalischen Elementen geprägt. Vitale Rhythmen wie Herzschlag, Atmung, Verdauungsge- räusche und Bewegung der Mutter begleiten und stimulieren das sich entwickelnde Kind. Die Mutter überträgt ihre Befindlichkeit über viele biologische und emotionale Vorgänge auf ihr Kind. Nach der Ge- burt wird das Neugeborene getragen, liebkost und von Stimmklängen umgeben. Körperliche und ele- mentar musikalische Eindrücke sind beides menschli- che Urerfahrungen, welche die Wahrnehmungen des termingeborenen Säuglings prägen [19], [10]. Noch bevor also die Vermittlung von Sprachinhalten zum Tragen kommt, ist die Stimme Trägerin von Kommu- nikation zwischen Mutter und Kind [20], [21], [22], [23]. Es ist daher naheliegend, die Stimme auch als wesentliches Instrument in der Musiktherapie mit Frühgeborenen und Säuglingen einzusetzen. Musik- instrumente werden in diesem Bereich – wenn über- haupt – sparsam und gezielt eingesetzt. Die Wahl eines Instrumentes kann je nach musiktherapeuti- schem Ansatz entweder durch eine musikmedizini- sche Indikation oder aufgrund seines Klangbildes er- folgen. Mithilfe eines warmen, einhüllenden oder resonanz- und obertonreichen Instrumentalklanges wird die technisierte Umgebung der Intensivstation kontrastiert bzw. integriert [8], [24]. Einbezug der Eltern Die aktive Einbindung der Eltern in die Betreuung und Pflege des Kindes ist im Alltag einer neonatologischen Station zentral. Forschung und aktuelle Entwicklun- gen verdeutlichen, dass neben der Verbesserung der Lebensqualität des frühgeborenen Kindes zunehmend auch die Unterstützung der Familie in ihrer Interakti- on mit dem Kind im Zentrum der therapeutischen An- gebote steht. So sind auch die musiktherapeutischen Interventionen immer eingebettet in das gesamte Be- handlungskonzept des Frühgeborenen und bedingen eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Behandlungsteam. Musiktherapie bietet in diesem Rahmen ein niederschwelliges Angebot, das von vie- len Familien gerne angenommen wird. Der Anregung der elterlichen Feinfühligkeit kommt besondere Bedeu- tung zu, und auch Psychoedukation ist ein wichtiges Element. Dies bedeutet z. B., mit Eltern gemeinsam die Elemente der musikalischen Kommunikation zu identi- fizieren, welche die meisten intuitiv bereits einsetzen. Sie werden dazu ermutigt und angeleitet, für ihr Kind zu summen, zu singen oder mit ihm zu sprechen. Das Erkennen ihrer schon vorhandenen Möglichkeiten kann den selbstverständlichen Einsatz ihrer Stimme erleich- tern – jenseits von Kategorien wie richtigem oder fal- schem Singen. Das Gefühl von Kompetenz, Angenom- mensein und Vertrauen wiederum kann ermöglichen, dass Eltern auch die Trauer über den Verlust der vollen- deten Schwangerschaft, Wut, Ohnmacht oder Schuld- gefühle thematisieren [24], [6], [8], [11], [25]. Fragt die Musiktherapeutin bei den Eltern nach ihren musi- kalischen Vorlieben, nach musikalisch-biografischen Prägungen und aktuell wichtigen Musikstücken oder Familienliedern, so engagieren sie sich häufig: Gross- eltern werden kontaktiert und im Internet wird recher- chiert nach Kinderliedern aus der eigenen Kultur. Äl- tere Geschwisterkinder werden nach Möglichkeit mit einbezogen, indem die Musiktherapeutin mit ihnen für die kleinen Geschwister singt oder musiziert. Manch- mal möchten Eltern und Geschwister auch ihre Stim- men aufnehmen, um etwas von sich da zu lassen, wenn sie persönlich nicht anwesend sein können. Familien- lieder [26] werden zu einem Anker in der musikthera- peutischen Behandlung. Die Stimmen der Eltern und Familienmitglieder vermitteln dem Kind Sicherheit und Vorhersagbarkeit. Sie werden zum wiedererkennbaren Muster für Schlaf-, Übergangs- und Trennungszeiten. Eine Mutter erzählte ihren Zwillingen beim Kängu- ruhn ihre Lieblingsgeschichte aus der eigenen Kind- heit – Tomte Tumetott. Ein Vater forschte im oberen Baselbiet nach dem alten Lied des «Heimatvogels». Im Yoga-Unterricht für Schwangere hatte eine andere Mutter buddhistische Mantras kennengelernt, welche sie nach der viel zu frühen Geburt ihres kleinen Soh- nes gemeinsam mit der Musiktherapeutin singen woll- Foto: Marianne Leber für Art Therapie, 2015

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