KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018

03 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 31 weist auf die Entwicklung von Diabetes mellitus Typ 2. Erklärt werden diese langfristigen Effekte mit Störungen der prä- und postnatalen Entwicklung des Stresssystems mit nachfolgend erhöhtem Cortisolausstoss bei bereits milden Stressoren. Cortisol wirkt diabetogen, indem es die Zucker- und Fettreserven mobilisiert und damit die In- sulinwirkung übermässig fordert [31].  Eine weitere Auswertung derselben Studie zeigt, dass sich die basalen täglichen Cortisollevels in den beiden Gruppen nicht signifikant unterschieden. Wohl aber lies- sen sich in der PS-Gruppe erhöhte Cortisolwerte in Re- aktion auf eine standardisierte stresserzeugende Aufga- be (Trier Social Stress Test, TSST) nachweisen. Hingegen wurden in Reaktion auf eine pharmakologische Stimulie- rung der Hypophyse (ACTH1-24-Test) signifikant niedri- gere Cortisolkonzentrationen in der PS-Gruppe gemes- sen. Dieses widersprüchliche Ergebnis weist den Autoren zufolge auf eine gegenregulatorische Aktivität des HPA- Systems hin. Insgesamt zeigt sich eine im Vergleich zur CG veränderte HPA-Achsenregulation der Nachkommen von pränatal gestressten Müttern [33].  In Bezug auf die Immunfunktionen werden in der PS- Gruppe nach der Antigen-Stimulierung von peripheren BlutmonozytenImmundysbalancenerkennbar.Eswirdeine Überproduktion von IL-4 (TH2-Zytokin) gegenüber IGN- γ (TH1-Zytokin) (IGN- γ ) verzeichnet – Hinweise auf einen stressbedingten TH1/TH2-Shift [32]. Das TH2-dominante Zytokinprofil von pränatal gestressten Individuen macht diese anfälliger für eine Reihe von Krankheiten, darun- ter atopisch/allergische Erkrankungen (z. B. allergisches Asthma bronchiale) und Autoimmunerkrankungen [34].  Eine Studie von Sternthal und Mitarbeitern [35] zeigt darüber hinaus, dass chronischer Stress der Mutter wäh- rend der Schwangerschaft prädiktiv für erhöhte Immun- globulin E (IgE)-Konzentrationen im Nabelschnurblut ist – ein unverkennbares Zeichen für eine Prädisposition für Asthma bronchiale und andere allergische Erkrankun- gen. Systematische Überblicksarbeiten und Metaana­ lysen belegen die Gefahr eines erhöhten Auftretens ato- pischer und allergisch/asthmatischer Erkrankungen bei Nachkommen, deren Mütter in der Schwangerschaft ge- stresst waren [36, 37]. Hinsichtlich Autoimmunerkran- kungen fand das DiPiS-Projekt in Skandinavien heraus, dass Sorgen und psychische Belastungen der nicht-dia- betischen Mütter während der Schwangerschaft mit ge- stiegenen Konzentrationen von Autoantikörpern gegen Insulin im Nabelschnurblut einhergingen, was als Gefahr für das spätere Auftreten eines Diabetes mellitus Typ 1 bei den Nachkommen zu werten ist [38]. 6. Fazit Der Wechsel vom mechanistisch-reduktionistischen Pa- radigma der Biomedizin zu einem biosemiotisch-syste- mischen (biopsychosozialen) Medizinparadigma nimmt unermüdlich seinen Lauf. Deutlich wird das unter ande- rem anhand der immensen Fortschritte auf dem Gebiet der pränatalen PNI, welche wichtige, wissenschaftlich fundierte Handlungsgrundlagen im Bereich der Präven- tion chronischer Erkrankungen (z. B. kindliches Asth- ma bronchiale, Diabetes mellitus Typ 1) liefern. Im Sin- ne einer präventiven Gesundheitsförderung muss somit die detaillierte Erfassung der psychosozialen Situation von Müttern in die Schwangerenvorsorge eingebunden werden, um Belastungen frühzeitig zu erkennen und z.B. eine transgenerationale Weitergabe von trauma- tischen Erfahrungen abwenden zu können. Erste An- sätze in dieser Hinsicht wurden bereits entwickelt und stossen auf grosse Akzeptanz (Beispiel SAFE-Projekt) [1].  Nicht nur im Falle schwerwiegender oder chronischer Belastungen sollen Präventionsangebote zum Einsatz kommen, auch gibt es bereits Ansätze, wie z. B. die Bin- dungsanalyse (auch: «vorgeburtliche Beziehungsförde- rung»), die im Sinne der Primärprävention, unabhän- gig vom aktuellen Belastungsgrad der Schwangeren, die Herstellung einer tiefen Beziehung zwischen Mut- ter und Kind («Nabelschnur der Seele») fördern können [2]. Anzunehmen ist, dass sich über den Aufbau positi- ver Bindungsmuster die kindliche PNI langfristig in Rich- tung Gesundheit lenken lässt.  Leider ist die Versorgungslage zur Prävention und Linderung v. a. von psychosozialen Belastungsfaktoren in der vorgeburtlichen Lebensspanne insgesamt noch spärlich, was an der Hartnäckigkeit der Biomedizin lie- gen dürfte, sich gegenüber ganzheitlich-komplexen Sicht- und Herangehensweisen in Klinik und Forschung zu öffnen [39, 40].  Das Beispiel der Frühgeburten zeigt die paradoxe Lage der aktuellen Schulmedizin klar auf: Einerseits werden im Sinne des Reparaturparadigmas immer bessere akut- und intensivmedizinische Diagnose- und Behandlungs- methoden entwickelt und eingesetzt, andererseits wird wenig darauf hingearbeitet chronischen Stress, von dem man zunehmend weiss, dass er im Zusammenhang mit Frühgeburten stehen kann [39, 40], durch entspre- chende Präventivmassnahmen zu verhindern [41].  Diese Arbeit zeigt auf, dass ein grosses Ausmass an pränatalem psychosozialem Stress, sei es aufgrund von schwangerschaftsspezifischen Ängsten der Mut- ter, Konflikten in der Partnerschaft oder aber gesell- schaftlich bedingt, intrauterine Entwicklungsspuren hinterlassen kann, die sich nachhaltig auf die psycho- neuroimmunologische Gesundheit der Nachkommen auswirken. Wir hoffen, dass diese Erkenntnisse zu ei- ner Sensibilisierung der Kollegenschaft beitragen, das Kind möglichst früh und ganzheitlich zu schützen, um in Hinblick auf seine langfristige biopsychosoziale Ge- sundheit primärpräventiv wirksam zu sein. ■ Das Literaturverzeichnis ist im E-Paper dieser Ausgabe.

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