KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018

03 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 29 vor schädlichen Stresseinflüssen. Dabei zeigen sich ins- besondere gegen Ende der Schwangerschaft deutlich schwächere psychische Reaktionen auf Stressoren, wäh- rend der Beginn der Schwangerschaft eine in Bezug auf die Stressanfälligkeit kritischere Phase darstellt [10]. 4.2. Stressbedingte Einflüsse auf die fetale Entwicklung Deutlich wird, dass es fein aufeinander abgestimmte psychoneuroimmunologische Prozesse sind, die das Gedeihen des Fetus imMutterleib ermöglichen – Schutz­ mechanismen, die stressbedingt beeinträchtigt sein kön- nen. Stress, ob materiell (z. B. durch Infektionen) oder psychisch bedingt, ist prinzipiell mit Immundysregulati- onen im mütterlichen System als auch mit entsprechend negativen Folgen für das Kind verbunden – auch über die Geburt hinaus. Gefährlich sind insbesondere inten- sive und chronische Stressoren, die u. a. über die ver- mehrte Ausschüttung von Katecholaminen das zelluläre Immunsystem überaktivieren [28, 29]. Damit einher­ gehende TH1-Entzündungsanstiege werden nicht mehr adäquat rückreguliert [21] und gefährden die Ent- wicklung des Fetus durch Veränderungen an der feto-maternalen Schnittstelle. Das Risiko für Frühgeburten und andere gesundheitliche Komplikationen für Mut- ter und Fetus steigt in weiterer Folge drastisch an [19].  In Verbindung damit kommt es auch zur vermehr- ten Ausschüttung von Cortisol über die HPA-Achse der Mutter. Cortisol wirkt in diesem Ausmass nicht mehr protektiv, sondern schädigend. Da Cortisol lipophil und damit zellgängig ist, kann es leicht die feto-maternale Schnittstelle passieren und so auch den Fetus in hohen Konzentrationen erreichen [27]. Hinzu kommt, dass die Aktivität des oben genannten 11 β -HSD2-Enzyms unter chronischer psychischer Belastung, ernsthaften Infekti- onen, hohen Levels an proinflammatorischen Zytokinen oder anderen ungünstigen intrauterinen Bedingungen beeinträchtigt ist [15].  Ein anderer Weg, wie mütterliches Cortisol fetale Cortisolkonzentrationen erhöhen kann, ist über die Sti- mulierung der Corticotropin-Releasing Hormon (CRH)- Bildung in der Plazenta. Während Cortisol normalerwei- se hemmend auf die HPA-Achsenaktivierung und die CRH-Produktion im Organismus wirkt, stimulieren Cor- tisol und andere biologische Stressmediatoren in der Plazenta die lokale CRH-Produktion. Höhere Plazenta- CRH-Levels stehen in Verbindung mit Frühgeburten und Beeinträchtigungen des fetalen Wachstums [10].  Die stressbedingt erhöhten Cortisolkonzentratio- nen im Fetus haben tiefgreifende Auswirkungen insbe- sondere auf die fetale Hirnentwicklung zur Folge und können verschiedene zerebrale Regionen wie den prä- frontalen Cortex, den Hippocampus oder die Amygda- la schädigen [30]. Diese Strukturen stehen in Verbin- dung mit exekutiven Funktionen, Emotionsregulation, Aufmerksamkeit, Gedächtnis sowie Angst und spielen darüber hinaus in der Regulation der fetalen HPA-Ach- se eine zentrale Rolle [13].  Weiter wirkt die Überexposition mit Cortisol auf die Lymphozytenentwicklung des Fetus und führt dadurch zu langfristig gestörten Immunfunktionen. Auch kann es im Zusammenhang mit pränatalem Stress zu epige- netischen Veränderungen an immunassoziierten Genen kommen, die Reifung der T-Zellen im Thymus beein- trächtigt werden und eine TH1/TH2-Immundysbalance auftreten. All das erhöht bis ins Erwachsenenalter das Risiko für das Auftreten von Entzündungs- und Immun­ erkrankungen ([28], Abb. 2).  Mit welchen langfristigen Konsequenzen pränataler psychosozialer Stress der Mutter für die Nachkommen verbunden sein kann, veranschaulicht auch ein weg- weisendes Projekt von Entringer und Kollegen [31–33]. 5. Langfristige Konsequenzen von pränatalem Stress auf die Gesundheit Entringer und Mitarbeiter [31–33] untersuchten zwei Gruppen gesunder Versuchspersonen hinsichtlich des Glukosestoffwechsels, der HPA-Achsenaktivität und der Immunfunktion. Zur «prenatal stress»(PS)-Gruppe zäh- len all jene Probanden, deren Mütter in der Schwan- gerschaft schwer belastende Ereignisse erlebten (chro- nische Partnerkonflikte, Scheidung, Tod einer nahen Bezugsperson, schwere Erkrankung eines Angehöri- gen, grosse finanzielle Sorgen etc.). Die Vergleichsgrup- pe («comparison group», CG) (mittleres Alter 24 Jahre) sind Nachkommen von Müttern, die diesbezüglich eine unauffällige Schwangerschaft aufwiesen. Die Autoren zeigten, dass die Nachkommen gestresster Mütter nicht nur einen höheren Body-Mass-Index (BMI) und relativen Körperfettanteil, sondern auch eine rela- tive Insulinresistenz aufwiesen. Sie zeigten zwei Stun- den nach dem Glucose-Toleranztest erhöhte Insulin- und C-Peptidwerte. Kann das Hormon Insulin im Glucose- Toleranztest die Aufnahme von Glucose in Körperzellen nicht ausreichend regulieren (Insulinresistenz), kommt es zu einem kompensatorisch zu hohen Insulin-Spiegel. Das ist mit erhöhten Blutzuckerwerten verbunden und ver- Abbildung 2: Effekte von mütterlichem Stress auf die feto- maternale Schnittstelle, die Entwicklung des Stress- und Immun- systems des Fetus und dessen langfristige Gesundheit. Mütterlicher Stress kann die Entwicklung des Fetus entweder direkt über die hormo- nelle Regulation feta- ler Gene oder indirekt über die Veränderung der plazentaren Funk- tion beeinflussen. TH = T-Helfer-Typ, HPA = hypothalamic pituitary adrenal (nach [28]).

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx