KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018
FORTB I LDUNG 03 / 2018 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 28 Stresseinflüsse reagiert [10]. So kann fetale Stressexpo- sition zu einer «Fehlprogrammierung» von Organsyste- men und Stoffwechselprozessen führen und das Risiko für chronische Erkrankungen im Erwachsenenalter (u. a. Adipositas, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre und men- tale Erkrankungen sowie Krebs) erhöhen [16]. Grundlegend für den Einfluss mütterlicher Faktoren auf die fetale Entwicklung ist die Verbindung zwischen Fetus und Mutter über die Plazenta und Nabelschnur: die «feto-maternale Schnittstelle» [17]. 4. Der antiinflammatorische Schutz des Fetus 4.1. Natürliche Veränderungen der mütterlichen Immunaktivität während der Schwangerschaft Obwohl der Fetus zur Hälfte väterliche Erbanlagen be- sitzt (semiallogen), stösst das mütterliche Immunsystem den Fetus in der Regel nicht ab. Das bedeutet, dass die Immunaktivitäten der Mutter während der Schwanger- schaft fein aufeinander abgestimmt werden müssen, um den Erhalt der Frucht zu gewährleisten. Obwohl von manchen Autoren als zu vereinfachend und undifferen- ziert kritisiert [18], sieht man in der einschlägigen For- schungsliteratur eine Reduktion der proinflammatori- schen Immunaktivität als wesentliches Kriterium für eine erfolgreiche Schwangerschaft an [19, 20]. Denn Entzün- dungsprozesse, die üblicherweise Ausdruck einer ge- sunden Immunreaktion des Körpers auf krankmachende und schädigende Reize sind, können, insbesondere wenn sie chronisch erhöht sind, schädlich für den Körper sein und langfristig zur Genese von verschiedenen Entzün- dungserkrankungen beitragen [21]. In der Medizin sollte daher eine verstärkte Aufmerk- samkeit auf Entzündungsprozesse in der Schwanger- schaft gelegt werden. Es konnte gezeigt werden, dass erhöhte Entzündungslevels frühzeitige Wehen auslö- sen, indem sie vorzeitige Kontraktionen triggern, den Reifungsprozess der Gebärmutter stimulieren und Membranen reissen lassen [19]. Auch sind verstärkte Entzündungsprozesse der Mutter mit Veränderungen in der mütterlichen Blutgerinnung, lokalen Gefässver- engungen und oxidativem/nitrosativem Stress verbun- den. Dies führt zu einer verringerten Durchblutung der utero-plazentaren Einheit und geht mit vermindertem Wachstum und einer erhöhten Gefahr des Absterbens des Fetus einher [18]. Schädigungen der feto-maternalen Schnittstelle im Rahmen von entzündlichen Erkrankungen der Plazenta sind weitere Gründe für eine erhöhte fetale und neonatale Morbidität und Mortalität [22]. Verschiedene natürliche Anpassungsleistungen wäh- rend der Schwangerschaft sorgen für eine Verringerung der entzündungsassoziierten Immunaktivität im Orga- nismus der Mutter, erkennbar an der Veränderung des T-Helfer (TH)-Zell-Gleichgewichtes. Vereinfacht lassen sich TH-Zellen in TH-Typ 1- und TH-Typ 2-Zellen eintei- len, die unterschiedliche Immunfunktionen repräsentie- ren und auch als Gegenspieler auftreten können. Zellen der TH1-Immunantwort (auch zelluläre Immunantwort genannt) setzen in der Regel proinflammatorische Zy- tokine (u. a. Interleukin [IL]-1 β , Tumornekrosefaktor [TNF]- α ) frei, die verstärkt für die Bekämpfung von Pa- thogenen/Fremdkörpern benötigt werden. Im Gegen- zug steht die TH2-Immunität (auch humorale Immuni- tät genannt) in Verbindung mit der Ausschüttung von antiinflammatorischen Zytokinen (u. a. IL-4, IL-10) [23]. Während einer gesunden Schwangerschaft kommt es zu einer Verschiebung des TH1/TH2-Gleichgewichts zu- gunsten einer erhöhten TH2 bzw. erniedrigten TH1-Im- munität (sogenannter «TH1/TH2-Shift»). Diese Verschie- bung schafft eine für die Immuntoleranz gegenüber dem Fetus wichtige antientzündliche Immunlage, er- höht jedoch auch die Infektanfälligkeit für Schwange- re. Die TH1-Immunsuppression nimmt gegen Ende der Schwangerschaft zu, was Schwangere insbesondere zu dieser Zeit anfällig für Infektionen macht, jedoch auch mit der Verbesserung von Symptomen verschiedener Autoimmunerkrankungen (z. B. Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose) in Verbindung steht [20]. Progesteron ist ein für den Erhalt der Schwangerschaft wichtiges Hormon, u. a. weil es in hohen Konzentratio- nen auf TH2-Zellen stimulierend wirkt und zur beschrie- benen antiinflammatorischen Immunlage massgeblich beiträgt [24]. Gleiches gilt für Cortisol. Cortisol ist ein körpereigenes Stresshormon, das während der Schwan- gerschaft in erhöhten Konzentrationen vorliegt [20]. Normalerweise nimmt Cortisol als Endprodukt der zen- tralen Stressachse (sog. Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden [hypothalamic pituitary adrenal, HPA]- Achse) in akuten und kontrollierten Stressreaktionen eine bedeutende protektive Rolle ein, indem es stressbeding- te Entzündungsanstiege über die Beeinflussung des TH1/ TH2-Gleichgewichtes im entscheidenden Moment rück- reguliert [21, 25]. Die in der Schwangerschaft erhöhten Cortisolkonzentrationen der Mutter dürften also (stress induzierte) TH1-Entzündungsanstiege vorbeugen und eine antiinflammatorische Schutzwirkung im Mutter- leib sicherstellen. Zudem besitzt Cortisol (in Massen) eine für die Entwicklung des Fetus (insbesondere die Rei- fung der Lungen) wichtige Funktion [13]. Ein massvoller Cortisoltransfer von der Mutter zum Kind wird durch die 11beta-hydroxysteroid dehydrogenase type 2 (11 β -HSD2) gewährleistet. Dieses Enzym wandelt mütterliches Corti- sol in inaktives Cortison um und sorgt damit an der feto- maternalen Schnittstelle für die Aufrechterhaltung eines physiologischen Cortisol-Gradienten von der Mutter zum Fetus. Damit kann letztlich nur ein kleiner Teil des mütter- lichen Cortisols die Plazenta passieren und das Kind er- reichen [15, 26, 27]. Ein insgesamt weniger responsives Stresssystem der Mutter während der Schwangerschaft schützt jenseits der in diesem Abschnitt genannten hor- monellen und immunologischen Anpassungsleistungen
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