KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018
03 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 21 Abbildung 2 Mögliche Alltagshilfen für die Eltern – Einen regelmässigen Rhythmus im Alltag mit dem Kind finden – Beachten der Müdigkeitsanzeichen des Kindes – Vertraute Menschen bitten, bei der Hausarbeit oder beim Kochen Gesellschaft zu leisten – Mit Freunden über die Sorgen sprechen – Nach Ressourcen im persönlichen Umfeld der Eltern suchen, die Entlastung bringen – Kontakt suchen zu anderen Menschen und Gruppen Wissensvermittlung Aus Erfahrung sehen wir, dass es den Eltern schon Er- leichterung verschafft oder sogar ein Aha-Erlebnis be- wirkt, wenn wir ihnen die verschiedenen Schreiformen aufzeigen und erklären. Es entlastet, das Schreien nicht immer im Kontext von Ernährung und Bauchweh zu se- hen. Es hilft, wenn sie hören, dass das Schreien/Weinen ein emotionaler Ausdruck, und gleichzeitig ein Versuch Stress abzubauen, ist. Leider ist es ein Bestreben der Eltern und der Helferpersonen, das Schreien bald möglichst zu stillen, um ihre Kompetenz bestätigt zu sehen. Gerade wenn es kein Bedürfnisweinen ist, benötigt das Kind Halt und Geborgenheit. Keinesfalls soll es in diesem Moment einfach abgelegt und sich selbst über- lassen werden. Meist hilft die Frage an die Eltern: Was wünschen Sie sich, wenn Sie ihrem Partner/Freundin von Ihren Ängs- ten, Sorgen oder Ärger erzählen wollen? Nützen Ihnen verschiedenste Angebote zur Ablenkung, Beruhigung? Oder wünschen Sie sich ein offenes Ohr, einen Trost, eine Umarmung? Wenn die Eltern diese Frage für sich beantwortet haben, wird ihnen klarer, was ihre Kinder benötigen und was sie ihnen bieten können. Die Kin- der beruhigen sich schneller, wenn sie sich in einer Um- armung ausweinen dürfen (Box 2). Ein schreiendes Kind zu begleiten, gelingt den Eltern nur, wenn sie verstehen, was da passiert, und sie in ei- gener Verbindung bleiben. Sie müssen sich als Person erfahren, die Sicherheit und Halt gibt. Wie weiter? Unser Ziel ist es, die Eltern in eine Selbstverbundenheit zu führen. Erst wenn sie sich selbst spüren, kommen sie in einen bindungsbereiten Zustand und werden sich feinfühlig ihren Kindern gegenüber verhalten können. Die weiteren Aspekte wie Langsamkeit, Entspannungs- fähigkeit und Anerkennung sind zusätzliche Bestand- teile. Um mit den Eltern zu arbeiten, verwenden wir verschiedene Methoden aus der Körperpsychotherapie und benötigen dazu auch mehr Zeit, als man im norma- len Praxisalltag zur Verfügung hat. An diesem Punkt ist es von Vorteil, die Eltern an pro- fessionelle Helfer verweisen zu können. ■ LITERATUR: Harms Thomas (Hrsg), 2017 Auf die Welt gekommen. Die neuen Baby- Therapien. Psychosozial-Verlag, Giessen. Harms Thomas, 2016: Emotionelle Erste Hilfe. Bindungsförderung, Krisen intervention, Eltern-Baby-Therapie. Psychosozial-Verlag, Giessen. Terry Karlton, 2014: Vom Schreien zum Schmusen, vom Weinen zur Wonne. Babys verstehen und heilen. Axel Jentsch Verlag, Wien. Bauer Joachim, 2006: Warum ich fühle, was Du fühlst. Intuitive Kom- munikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Wilhelm Heyne Verlag, München.
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