KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018

03 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 19 Spezifische Belastungen der Eltern Die Belastungen in der frühen Eltern-Kind-Zeit präsen- tieren sich in verschiedenen Formen: a) Orientierungsverlust («Ich verstehe es nicht!»). Durch die Vorstellung, ein Kind müsse immer ruhig sein, verfangen sich die Eltern in einem Leistungsideal und entwickeln fragwürdige Beruhigungsstrategien wie Füttern, Schnuller geben, Schaukeln, Geräuschkulis- sen, Autofahren u. a.m. b) Verlust der Emotionskontrolle («Es überrollt mich»). Vielleicht bestehen versteckte Themen wie Enttäu- schung, Aggressionen oder Beziehungsunsicherhei- ten und familiäre Geschichten. c) Verlust der Selbstwirksamkeit («Ich kann nichts tun»). Die Abgrenzung ist nicht mehr möglich. Es entsteht eine Hab-Acht-Stellung mit Verlust des Kontaktes zu sich selbst. d) Regulations- und Entwicklungsstörungen des Kindes («Mein Baby schreit so viel. Mein Baby schaut mich nicht an»). e) Erschöpfungssyndrom («Ich kann nicht mehr»). Zauber der Bindung Im Gegensatz zu früherer Annahme kommen wir als Kind fühlend und kompetent zur Welt. Wir haben schon eine gemeinsame Geschichte – die Zeit der Schwanger- schaft – mit unseren Eltern erlebt. Bindung hat einen si- cherheitsspendenden Charakter. Das Leben beginnt mit einer «Ent-bindung», zunächst also mit der Auflösung von Bindung. Mit dem Kappen der Nabelschnur wird eine Trennung vollzogen, die mit der prinzipiellen Auffor- derung verbunden ist, von jetzt an trotz aller Hilflosigkeit grundsätzlich aus eigener Kraft für uns selbst zu sorgen. Verfügen die Eltern über eine stabile Paarbeziehung, ein gutes soziales Netzwerk und hinreichende Fähigkeit der Selbstwahrnehmung und Einfühlung, kann ein Neugebo- renes gut begleitet und auch aufgefangen werden (Abb.2).  Kinder haben ein angeborenes Sicherheits- und Bin- dungsbedürfnis. Sie besitzen eine Bereitschaft zur Bezie- hungsaufnahme, sie suchen den Blickkontakt, gurren, plaudern, lächeln, greifen. Der emotionale Bindungs- aufbau an eine Hauptbezugsperson ist existenzsichernd, überlebenswichtig. Bei Kleinkindern ist Bindung Voraus- setzung für das Lernen und die psychosoziale Entwick- lung.  Eine sichere Bindung schafft Selbstvertrauen, Ruhe und Selbstwirksamkeit. Das Kind hat Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Bindungsper- son. Es erfährt Wärme, Geborgenheit und Unterstüt- zung. Angst und Trennung aktivieren das Bindungssys- tem, das Kind weint oder ruft. Die körperliche Nähe zur Bezugsperson beruhigt, sie wirkt als Gefühlsregulator, wenn Sicherheit ausgestrahlt wird.  In einer unsicher-vermeidenden Bindung erleben die Kinder die Bezugspersonen als zurückweisend. Sie ha- ben gelernt, dass ihr Bedürfnis nach Zuwendung we- nig beachtet wird. Ihre Gefühle werden nicht ernst ge- nommen, sie wehren sie ab und ziehen sich zurück oder werden aggressiv.  In einer unsicher-ambivalenten Bindung schwanken die Bezugspersonen zwischen Verständnis und Zurück- weisung, mal sind sie zugewandt, mal abweisend. Da Abbildung 1

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx