KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2018

K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 10 VERBANDSZ I ELE UND IHRE ERRE I CHUNG 03 / 2018 A m 26. Mai fand in München eine ganztägige Sit- zung der Präsidien der Praxispädiaterverbände aus Deutschland (inkl. Teil der Vorstandsmitglieder), Österreich und der Schweiz statt. Das Treffen zwi- schen dem BVJK (Berufsverband der Kinder- und Ju- gendärzte), der ÖGKJ (Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde) und KIS war eine Fort- setzung der Kontakte von der Januartagung 2017 in Zürich zur Vernetzung über die Landesgrenzen hinaus. Ziel war der gegenseitige Austausch über die Schwierig­ keiten im Alltag der Praxispädiater in den einzelnen Ländern sowie eine Diskussion über mögliche gemein- same Lösungsansätze. Auf der Traktandenliste standen u.a. die Ausbildungsverordnung, Mutter-Kind-Pass, Prä- vention inkl. Impfen, Situation der pädiatrischen Ver- sorgung etc.  Sehr schnell stellte sich heraus, dass die Problemfel- der in allen drei Ländern sehr ähnlich sind: Nachwuchs- mangel sowie mangelnde Unterstützung der Entschei- dungsträger / Politik (wirtschaftlich und ideell). Daher waren die Schwerpunkte der Gespräche faktisch selbst- bestimmt: Förderung des möglichen Nachwuchses im Studium und Ausbildung sowie Suche nach Möglich- keiten, Unterstützung in der Politik und Öffentlichkeit zu erhalten. Wie real die Gefährdung der Versorgung ist, das zeigen die Informationen aus Österreich: Selbst grössere Spitäler wie Linz schaffen es zum Teil nicht, aus dem Assistentenpool heraus Dienste in den Kinderkli- niken zu gewährleisten – und die Schwierigkeiten, Pä- diater für die Praxis zu finden, betreffen nicht nur die ländlichen Gegenden – selbst in Teilen von Wien ist der Mangel bereits zu spüren.  Hier ein paar Zahlen aus Deutschland, die einen Teil der Problematik verdeutlichen: Vor der Wiedervereini- gung im Jahre 1990 gab es dort ca. 16000 Medizinstu- diumplätze (im Osten 4000, im Westen 12000), aktuell sind es insgesamt 10500–11000. Dies führt nicht nur zum Mangel an Nachwuchskräften, sondern auch zum Entstehen von Ausweichkanälen. Bereits früher wichen die angehenden Mediziner, die in Deutschland keinen Studienplatz gefunden haben, nach Italien, Österreich oder Ungarn aus. Nun entstehen in Deutschland Pri- vatinstitute, die von ausländischen Universitäten unter- halten werden – so hat die Universität Salzburg bereits im dritten Jahr eine Dependance in Nürnberg. Auf der einen Seite können so mehr Studenten aufgenommen werden, auf der anderen Seite stellt sich die problema- tische Frage der Aufnahmekriterien und Finanzierung (hohe Gebühren). In der Politik ist man sich dieses Pro- blems inzwischen wohl (teilweise) bewusst: So steht im Koalitionsvertrag der aktuellen deutschen Regierung, dass die Studienplatzzahl um 10% erhöht werden soll. Auch bei uns versucht man bekanntlich das Angebot der Studienplätze zu vergrössern, doch stösst dies nicht selten an Kapazitäts- und Finanzierungsgrenzen. Dies sind zwar begrüssenswerte erste Schritte, aber in dieser Form wohl in beiden Ländern nicht ausreichend.  Auch die Form des Studiums soll angepasst und für die Praxis «sinnvoller» gemacht werden. In Deutschland heisst es «Masterplan 2020» – unter anderem soll es im klinischen Teil des Studiums vier Vertiefungsabschnitte geben (wie «primary care» oder Forschung), was zur besseren Vorbereitung auf den Beruf führen soll. Damit kann man sich gezielter auf die «geplante» Karriere vor- bereiten, muss sich aber nicht definitiv festlegen (Wech- sel der Spur soll jederzeit möglich sein).  Speziell bezogen auf die Pädiatrie, versuchen die eu- ropäischen Vereinigungen (EAP: European Academy of Paediatrics und ECPCP: European Confederation of Pri- mary Care Paediatricians) einheitliche Standards für die pädiatrische Facharztausbildung zu erarbeiten. Hierzu gibt es zum Teil bereits gute und sinnvolle Vorarbeiten, allerdings gestaltet sich aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitssysteme in Europa – und auch unterschied- licher Ansichten der Kliniker und Praktiker – eine Verein- heitlichung recht schwierig. Obwohl es sich bisher um unverbindliche Vorschläge handelt, ist es wichtig, sie zu beachten, denn aus Empfehlungen können manchmal schnell Vorschriften werden.  Wie oben erwähnt, scheint die Politik die drohende Unterversorgung langsam zu bemerken und bemüht sich hier und da um zaghafte Anpassungen. Dennoch hat dies (noch) nicht dazu geführt, dass die Verant- wortlichen gelernt hätten, dass man beim Studenten- und Ärztemangel nicht mehr «Köpfe» zählen darf. Be- dingt durch die deutliche und andauernde Zunahme der weiblichen Kolleginnen (in allen Ländern) – aber auch verändertem Work-Life-Bedürfnis von Männern – ist das durchschnittliche Arbeitspensum merklich gefal- len. Wir werden in der Zukunft daher mehr als einen Studenten für eine Arztstelle benötigen (die Abwan- derung in nicht versorgende Bereiche der Medizin gar nicht berücksichtigt).  Hier gibt es leider keine schnellen und nachhaltigen Lösungsmöglichkeiten. Insbesondere dann nicht, solange noch immer keine adäquate, facharztneutrale, gleich­ berechtigte Abgeltung gutgeheissen wird und wenn der unsägliche Fluch der Kostenneutralität weiter ge- predigt wird. Es ist auch nicht möglich, dieses Problem zu lösen, indem man nur umverteilt und den Spezialis- ten die Vergütungen kürzt. Der medizinische Fortschritt, die Alterung der Bevölkerung, die zunehmende An- spruchshaltung der Patienten sind nur drei der Punkte, die dieses Dogma ad absurdum führen. Zudem ist die hierdurch aufkommende Unsicherheit hinsichtlich des wirtschaftlichen Aspektes für die Motivation junger Ärzte in die Grundversorgerpraxis zu gehen, äusserst kontraproduktiv. Zürich, München, Wien, . . . Wir schauen über die Grenzen DR. MED. HEIDI ZINGGELER FUHRER, CHUR, PRÄSIDENTIN KINDERÄRZTE SCHWEIZ DR. MED. JAN CAHLIK, AFFOLTERN A.A., VIZEPRÄSIDENT KINDER- ÄRZTE SCHWEIZ Korrespondenzadressen: b.j.cahlik@datazug.ch H.Zinggeler@mez-chur.ch

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