KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2018
FORTB I LDUNG 02 / 2018 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 32 richtigem Training – Ballett oder gezielte Fussgymnastik – richten sich Knickfüsse im Kindesalter meistens auf. Der pädiatrische Entscheidungs-Algorithmus «Knickfüs- se = Einlagen + Sportempfehlung» wäre zu ersetzen durch «Knickfüsse = gezieltes Fusstraining». Nur so las- sen sich Folgeschäden wie Senk-Plattfüsse, Hallux val- gus, Tibialis-posterior-Syndrom & Co reduzieren. Gut gemeinte und weit verbreitete Übungen wie «Ze- hengreifen» oder «Fusswippen» sind kontraproduktiv: Das klassischen «Zehengreifen» mit Handtuch oder Blei- stift aktiviert die hyperaktiven langen Zehenbeuger statt der intrinsischen Vorfussmuskulatur – Krallenzehen auf ärztliches Rezept sozusagen. Sinnvoller ist da die Übung «Zehenraupe» mit Beugung in den Zehengrundgelen- ken und Streckung der Zehen. Das «Fusswippen» leis- tet Wadenverkürzungen und Achillessehnenproblemen Vorschub, hier ist die Übung «Turmspringer» (rücklings auf der untersten Treppe) angesagt – Trizeps und Achil- lessehne werden exzentrisch belastet (Abb. 2). Beispiel 2 | Kneeing-In Sie kennen es aus der täglichen Praxis: Die Kniescheiben schielen nach innen. Sieht komisch aus, ist funktionell ungünstig und birgt – durch asymmetrischen Muskel- zug des M. quadriceps femoris) etliche Risiken in sich: Myofasziale Schmerzen, retropatelläre Beschwerden, Patella- (Sub-)Luxation usw. Zudem verstärkt es vorhan- dene Knickfuss- und X-Beintendenzen. Es gilt drei Ursa- chen für das Kneeing-In zu unterscheiden: – Ossäre Torsion: verstärkte Femur-Antetorsion und/ oder verstärkte Tibia-Retrotorsion – Hüftgelenk: Die rotatorische Beweglichkeit des ge- streckten Hüftgelenks (Untersuchung in Bauchlage) ist zu Ungunsten der Aussenrotation verschoben (Norm: > 30°) – Muskulär: Insuffizienz der Hüftaussenrotatoren (Piri- formis & Co) Spiraldynamik-Sicht: Das Kneeing-In ist in allen Fällen Ausdruck einer «Umkehr der funktionellen Drehrich- tungen im Bein» – Oberschenkel dreht nach innen statt nach aussen, Unterschenkel nach aussen statt nach in- nen. Das Spiraldynamik-Beinachsentraining bietet die Möglichkeit, die funktionellen Drehrichtungen im Bein zu re-etablieren, viele Beschwerden zu beseitigen und mitunter die Entwicklungsdynamik des kindlichen Ske- letts in funktionell bessere Bahnen zu lenken (Abb. 2). Beispiel 3 | Idiopathische Skoliose Skoliosen mit einem Cobbwinkel < 30° nach Wachs- tumsende gelten als stabil. Bei Skoliosen > 40° wird eine Progression von 1° pro Jahr angenommen. Die In- dikation zur Physiotherapie erfolgt standardmässig. Eine Korsetttherapie ist bei Skoliosen von 20–40° ge- geben, sofern noch Wachstumspotenzial vorhanden ist. Die Akzeptanz des Korsetts durch Kinder und Eltern hat in den letzten 10 Jahren abgenommen; die spondylo- detischen Eingriffe sind kurzstreckiger geworden. In der Schweiz steht die operative Korrektur gemäss Leitlini- en ab 45–50° zur Diskussion, in der Praxis oft bereits ab 40°. Spiraldynamik-Sicht: Der Mensch ist ein aufrecht ge- hender Kreuzgänger: Linkes Bein, rechter Arm… dann gegengleich. Beim Gehen und Laufen verschraubt sich die Wirbelsäule abwechslungsweise nach links und nach rechts. Standbeinphase links bedeutet: Beckentiefstand links (Mm. glutaei) plus 3-bogige skoliotische Wirbelsäu- lenhaltung lumbal links-konvex, thorakal rechts-konvex und – mit Blick geradeaus – zervikal links-konvex. Die- se funktionelle Haltung entspricht eins zu eins der häu- figsten Form der idiopathischen, 3-bogigen und thora- kal rechts-konvexen Skoliose. Mit anderen Worten: Das Skoliose-Muster entspricht der physiologischen Links- rechts-Verschraubung der Wirbelsäule während der Lo- comotion. Der Unterschied: Beim Gesunden dreht die Wirbelsäule gleichwertig in beiden Richtungen, bei der Skoliose ist sie strukturell einseitig fixiert. Das therapeu- tische Fazit: Die Skoliose kann während des Gehens und Laufens mit der Gegenspirale spezifisch und dreidimensi- onal therapiert werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die «3-D-Skoliosetherapie gemäss Spiraldynamik-Kon- zept» findet eigenverantwortlich im Alltag statt. Beispiel 4 | Sitz gerade! Der habituelle Haltungskollaps im Schulalter ist der Vor- läufer aller Sitzhaltungsschäden im Erwachsenenalter. Die Aufforderung «Sitz gerade!» führt beim Kind wie beim Erwachsenen zu einem Anspannen der Rücken- und interskapulären Muskulatur mit zirka 30 Prozent der Maximalkraft. Selbst Leistungsathleten können dies nicht länger als 4–5 Minuten aufrecht halten. Abb. 2: Die Dermatome L1–S1 sind a) beim Embryo parallel, beim b) Erwachsenen spiral- förmig angeordnet.
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