KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2018

01 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 33 schlussmuster der Suturen und Fontanellen werden im Artikel «Natürliches Schädelwachstum, Schädeldeformitäten, Untersuchungsmodalitäten» besprochen. Die meisten Krankheitsbilder mit isolierter, oft auch mit kombinierter Kraniosynostose lassen sich aufgrund der charakteristischen Befunde klinisch diagnostizieren. Sonografisch kann ein Nahtverschluss bei entsprechender Erfahrung des Untersuchers ausgeschlossen oder bestätigt werden. Im Röntgen lassen sich sowohl die Suturen darstellen wie auch die Schädelproportionen, allfällige Deformitäten der Orbitae und Kraniotabes (Ausdünnung der Kalotte), welche bei Kraniosynostosen oft an typischen Stellen vorliegen. Die Computertomografie sollte Spezialfällen vorbehalten werden, z. B. bei unklaren oder komplexen klinischen Befunden, Multinahtsynostosen, bei Verdacht auf weitere ossäre Fehlbildungen des Neuro- oder Viszerokraniums oder zur präoperativen Planung bei komplexen Eingriffen. Bei syndromalen Patienten ist ein MRI des Schädels indiziert, um assoziierte intrakranielle Fehlbildungen auszuschliessen. Die Schädeldeformität, welche durch den vorzeitigen Nahtverschluss entsteht, kann unterschiedlich ausgeprägt sein, je nach Zeitpunkt der vollständigen Verknöcherung, sowie der zugrunde liegenden Ursache (Genetik, Umgebungsfaktoren) und Pathogenese. In der Regel nimmt die Deformität in den ersten Lebensmonaten deutlich zu, im Verlauf langsamer, bis ab dem Alter von 3–4 Jahren die Proportionen des Neurokraniums stagnieren. Sind hingegen, wie bei den meisten syndromalen Formen, die Suturen des Mittelgesichts mitbetroffen, nehmen die Disproportionen zwischen Viszero- und Neurokranium bis ins Jugendalter zu. Therapie Die therapeutischen Optionen bei Kraniosynostose sind ausschliesslich chirurgisch. Die Behandlung verfolgt das Ziel, die Schädelform zu normalisieren und allfällige Folgeschäden zu verhindern. Wie häufig es im natürlichen Verlauf von nicht syndromalen, monosuturalen Fällen zu relevanten Komplikationen kommt, ist äusserst umstritten. So wird in der Literatur seit Jahrzehnten sehr widersprüchlich über die Inzidenz und Bedeutung des Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Betroffene Nähte Deformität Bemerkung Koronarnaht, beidseitig Anteriorer Brachycephalus Lambdanaht, beidseitig Posteriorer Brachycephalus Koronar- oder Lambdanaht beidseitig Turricephalus Brachycephalus, welcher zusätzlich in die Höhe wächst Koronarnaht beidseitig, Sagittalnaht Oxycephalus, Akrocephalus teilweise zusätzlich Frontalnaht betroffen Pansynostose Kleeblattschädel sämtliche grosse Schädelnähte betroffen Syndrom Genetik Assoziierte Fehlbildungen Hand/Fuss Sonstige assoziierte Fehlbildungen/Störungen Apert FGFR 2 Pansyndaktylie Hände und Füsse Hirnfehlbildungen, erhöhter Hirndruck, Hydrocephalus, Entwicklungsverzögerung, PapageienschnabelNase, oro- und nasopharyngeale, sowie laryngeale Fehlbildungen, zervikale Wirbelkörperfusionen Crouzon FGFR 2 FGFR 3 Keine Erhöhter Hirndruck, Hydrocephalus, Chiari-Malformation, Herzvitien, Intelligenz variabel Muenke FGFR 3 Fusion der Hand- oder Fusswurzelknochen; fehlende, verkürzte oder verbreiterte Phalangen Sensorineurale Schwerhörigkeit, meist normale Intelligenz, soziale Auffälligkeit Pfeiffer FGFR 1: 5% Typ 1 FGFR 2: 95% Typ 1, Typ 2, Typ 3 Breite Daumen und Grosszehen, Brachydactylie Kleeblattschädel (Typ 2), Prune belly, Malrotation (Typ 2 und 3), Ankylose des Ellbogens, Choanalstenose, laryngotracheale Fehlbildungen, Intelligenz je nach Typ Saethre- Chotzen TWIST 1 Syndactylie von Finger 2 und 3, Brachydactylie, Klinodactylie Kleine Ohren mit prominenten Crus helices, meist normale Intelligenz Ursachen für sekundäre Kraniosynostosen strukturell – inadäquates Hirnwachstum (Anlagestörung, genetisch, nach intrauterinem Infekt, schwerer perinataler Asphyxie oder vaskulärem Insult, bei vaskulärer Malformation) – schwere traumatische Hirnverletzung – chronische Liquorüberdrainage bei VP-Shunt endokrinologisch – Hyperthyreose – Hypophosphatämie – Vitamin-D-Mangel – Hyperkalzämie metabolisch – Mukopolysaccharidose – Mukolipidose hämatologisch – Polycythaemia vera – Sichelzellanämie – Thalassämie medikamentös-toxisch (während der Schwanger- schaft) – Valproat – Methotrexat – Retinoide – Nikotin erhöhten Hirndrucks in dieser Patientengruppe berichtet [12, 13]. Das gleiche gilt für die neuropsychologische Entwicklung [14, 15, 16, 17, 18, 19]. Unbestritten ist, dass Kinder mit nicht syndromalen Kraniosynostosen in der Regel einen normalen IQ haben, gleichzeitig aber überdurchschnittlich oft (20–50%) eine Teilleistungsschwäche aufweisen, z. B. ein Defizit in der sprachlichen Entwicklung, der räumlichen Orientierung oder beim Lösen abstrakter Aufgaben [20]. Diese Inzidenz scheint unbeeinflusst davon, ob und wann eine operative Behandlung stattfindet. Abbildung 3: Trigonocephalus bei Frontalnahtsynostose

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