FORTB I LDUNG 01 / 2018 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 32 Einführung, Epidemiologie, Einteilung Bei einer Kraniosynostose kommt es zum vorzeitigen Verschluss einer oder mehrerer Schädelnähte. Dies führt zu einer, je nach Zeitpunkt der Verknöcherung, mehr oder weniger ausgeprägten, charakteristischen Deformität des Schädels. Insgesamt beträgt die Inzidenz ca. 1:2500 Lebendgeburten [1, 2]. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, wobei es diesbezüglich je nach betroffener Naht deutliche Unterschiede gibt. Es wird zwischen primären und sekundären sowie zwischen syndromalen und nicht syndromalen Kraniosynostosen unterschieden. Bei den nicht syndromalen Fällen, welche ca. 80– 90% aller ausmachen, liegt in der Regel eine isolierte Einzelnahtsynostose vor. Tabelle 1 fasst die wichtigsten nicht syndromalen Kraniosynostose-Typen zusammen. Abbildung 1 zeigt schematisch die verschiedenen Schädelformen, Abbildungen 2–5 klinische Bilder verschiedener Kraniosynostosen. Insgesamt ist die Inzidenz der Kraniosynostosen in den letzten Jahrzehnten konstant geblieben. Hingegen hat interessanterweise die relative und absolute Häufigkeit der Frontalnahtsynostose zugenommen [2, 3]. Während in früheren Erhebungen eine relative Häufigkeit von 5–10% festgestellt wurde, geht man in aktuelleren Studien von einer relativen Häufigkeit von 20–25% aus. Die Ursache für diese Zunahme ist nicht bekannt. Ätiologie Die Ätiologie der nicht syndromalen Kraniosynostose ist multifaktoriell und heterogen. Grundsätzlich wird von einer starken genetischen Komponente ausgegangen (autosomal dominant), welche durch diverse Umgebungsfaktoren modifiziert wird. Auch bei den nicht syndromalen Fällen kann eine gewisse familiäre Häufung festgestellt werden (siehe Tabelle 1) [4, 5, 6]. 10–20% der Kraniosynostosen treten im Rahmen eines Syndroms auf [4, 5, 7, 8]. Dabei sind in der Regel mehrere Schädelnähte betroffen und meist zusätzliche Fehlbildungen des Skeletts (vor allem der Extremitäten), des Zentralnervensystems und der inneren Organe vorhanden. Verschiedene Mutationen wurden identifiziert, welche hauptsächlich die Gene des Fibroblast Growth Factor Receptor (FGFR 1, 2 und 3) und des Twist Family BHLH Transcription Factor (TWIST), sowie des Msh Homeobox (MSX 2) betreffen. Die Vererbung ist in der Regel autosomal dominant, bei allerdings hoher Spontanmutationsrate (assoziiert mit hohem väterlichem Alter [9]), die Penetranz unvollständig (ausser beim Saethre-Chotzen-Syndrom) und die Expressivität variabel. In Tabelle 2 sind die Deformitäten bei Multinahtsynostose aufgeführt. Es existieren über 180 verschiedene Syndrome, welche mit einem vorzeitigen Nahtverschluss assoziiert sind. 90% dieser Patienten leiden an einem der 5 häufigsten Krankheitsbilder, welche in Tabelle 3 zusammengefasst sind [7]. Sie sind charakterisiert durch eine beidseitige Koronarnaht-Synostose, Mittelgesichtshypoplasie sowie je nach Syndrom weitere Fehlbildungen, v. a. der Hände und Füsse. Eine sekundäre Kraniosynostose ist sehr selten. In der Literatur werden verschiedene Ursachen genannt, sie sind in Tabelle 4 aufgeführt [10, 11]. Klinische Befunde, Diagnostik Die Deformität des Schädels bei einem vorzeitigen Nahtverschluss (sieheTabellen 1 und 2) kommt dadurch zustande, dass das Wachstum der beiden angrenzenden Knochen senkrecht zur betroffenen Naht gehemmt wird und gleichzeitig, getriggert durch den Wachstumsimpuls des Hirns, ein kompensatorisches Mehrwachstum in Längsrichtung der Naht stattfindet. Details zum natürlichen Schädelwachstum und zum normalen VerKraniosynostose DR. MED. BENJAMIN LINIGER, OBERARZT KINDERCHIRURGISCHE UNIVERSITÄTS- KINDERKLINIK INSELSPITAL BERN, LEITENDER ARZT KINDERCHIRURGIE, SPITALZENTRUM BIEL. Korrespondenzadresse: Benjamin.Liniger@insel.ch Tabelle 1 Betroffene Naht Deformität Relative Häufigkeit M : F Familiär Sagittalnaht Scaphocephalus 40–55% 3 : 1 2–6% Frontalnaht Trigonocephalus 5–25% 1–3 :1 2–6% Koronarnaht, einseitig Anteriorer Plagiocephalus 20–25% 1 : 1–2 7–14% Lambdanaht, einseitig Posteriorer Plagiocephalus 0–5% 1 : 1 ? Abbildung 1: Schema Kraniosynostosen. ① Scaphocephalus bei Sagittalnahtsynostose ②Trigonocephalus bei Frontalnahtsynostose ③Anteriorer Plagiocephalus bei einseitiger Koronarnahtsynostose rechts ④Anteriorer Brachycephalus bei beidseitiger Koronarnahtsynostose ⑤Posteriorer Plagiocephalus bei Lambdanahtsynostose links ⑥ Lagerungsbedingter posteriorer Plagiocephalus links ohne Kraniosynostose. Abbildung 2: Scaphocephalus bei Sagittalnahtsynostose.
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