01 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 31 und Hände (die obere Extremität der betroffenen Seite wird oft weniger eingesetzt), weiterlaufende Seitneigung in den Rumpf, was wiederum weitere Asymmetrien in der Bewegungsentwicklung bewirken kann. Auch achte ich auf eine freie Beweglichkeit der Augen. In der kindlichen Entwicklung haben die Augen nicht nur die Funktion des Sehens, sondern sie geben der motorischen Entwicklung Orientierung und Richtung. Sind die Augenbewegungen nicht frei, kann sich die Nackenmuskulatur nicht gelöst bewegen. Auf der anderen Seite kann man eine freie Augenbewegung nutzen, um im Nacken mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen. Nach dieser visuellen Inspektion gehe ich über zum Berühren und Bewegen des Babys. Ich prüfe den Muskeltonus mit Fokus Schulter- Nackenbereich, achte mich auf Spannungen im occipito-cervikalen Übergang, nehme die Reaktion des Kindes auf das Bewegtwerden und somit auf Lageveränderungen wahr (wie passt sich das Kind an die Unterstützungsfläche an? In Rückenlage, Bauchlage, Seitenlage beidseits?). Die Überprüfung und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse erfolgen immer altersentsprechend und angepasst an den Entwicklungsstand des Kindes. Meistens habe ich nun bereits genügend Informationen gesammelt, um die Eltern wieder direkt in den Prozess mit einzubeziehen. Ich erläutere ihnen, was ich beobachtet und festgestellt habe. Sorgsam gehe ich nun mit den Eltern Schritt für Schritt die Handling-Instruktion durch. Diese beinhaltet Grundsätze zur Umgebungsgestaltung, Lagerungsmöglichkeiten zum Dehnen der betroffenen Muskulatur (je jünger das Kind, umso effektiver!) und zur Plagiocephalie-Prophylaxe, spezifische Tragepositionen, altersgerechte Spielmöglichkeiten zur optimalen Stimulation der nicht bevorzugten Seite. Hier hole ich die Eltern ab, stärke ihre Kompetenz im Umgang mit dem Baby und lade sie zur aktiven Mitarbeit ein. In den folgenden Physiotherapiesitzungen erarbeite ich auf muskuloskelettaler und neurophysiologischer Grundlage die Voraussetzungen für eine optimale symmetrische Bewegungsentwicklung. An einem gewissen Punkt der Behandlung kann es sich als sinnvoll erweisen, weitere Fachdisziplinen einzubeziehen. Das Zusammenspiel von Physiotherapie, Osteopathie und/oder Chiropraktik hat sich meiner Erfahrung nach sehr bewährt und verkürzt die Behandlungsdauer. Bei einer ausgeprägten Plagiocephalie sollte auch die Behandlung mit einer Kopforthese in Betracht gezogen werden. Hier geht es nicht nur um eine ästhetisch-kosmetische Intervention. Die Kopfdeformation kann die freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule einschränken. Mithilfe der Orthese wird ein Rollen des Kopfes erleichtert. Manche Eltern fühlen sich ruhiger, wenn sie wissen, dass die Abflachung des Schädels nicht weiter zunimmt. Die Behandlungsdauer und die Frequenz werden den Fortschritten des Kindes angepasst. In der Regel arbeite ich zu Beginn der Behandlung wöchentlich, später in grösseren Abständen im Sinne einer Begleitphysiotherapie. Diese dient der weiteren Betreuung der Eltern bei Fragestellungen, ermöglicht aber auch mir eine Verlaufskontrolle und eine altersgemässe Anpassung der Massnahmen und Übungen. ■ ANGABEN ZU DEN FOTOS: Quelle: Fotos sind in meiner Praxis entstanden mit Erlaubnis der Eltern. Nach der Handling- Instruktion zur Trageposition (mit visueller Selbstkontrolle vor dem Spiegel). Das Mädchen schaut nach links, Wirbelsäule wird gerade gehalten. Die Mutter achtet darauf, wie sie ihre Hände einsetzt, um ihr Kind optimal zu unterstützen. Handling-Instruktion für zu Hause Die Grundidee des Handlings in Zusammenhang mit Torticollis ist immer: beobachten, was das Kind von sich aus tut und dementsprechend das Gegenteil offerieren. Bsp. Das Kind schaut bevorzugt nach links. Fortan wird das Kind über seine rechte Seite hochgenommen. Somit muss es seinen Kopf nach rechts drehen und macht damit eine neue sensorische und motorische Bewegungserfahrung. Das Handling bleibt immer individuell an das Kind und die Bezugsperson angepasst. – Umgebungsgestaltung: Die Eltern werden angehalten, die Umgebung des Kindes so zu gestalten, dass alle interessanten Reize von seiner nicht bevorzugten Seite her kommen. Lichtquellen, Mobiles, Ansprechen durch die Bezugspersonen sind solche Reize. – Lagerungsmöglichkeiten: Den Eltern wird gezeigt, wie sie ihr Kind sicher und stabil auf die Seite legen können. Auch wie sie ihrem Kind die Bauchlage vertraut und bequem machen können. Dadurch erfährt der Kopf des Kindes fortlaufend eine andere Druckbelastung. Dies ist die effektivste Plagiocephalie-Prophylaxe. – Tragepositionen: Das Kind so tragen, dass das Bein auf der kurz gehaltenen Seite gestreckt ist. Somit verlängert sich die Körperseite. – Spielmöglichkeiten: Spielsachen werden so platziert, dass das Kind den Kopf zu seiner nicht beliebten Seite drehen muss, um sie zu sehen. Auch soziale Interaktionen wie Plaudern und Blickkontakt werden von der nicht bevorzugten Seite an das Kind herangetragen.
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