KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2018

01 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 29 Nach der Bewegungsprüfung untersucht der Chiro- praktor das Gelenkspiel jedes Wirbelbogengelenkes. Das ist die Kernkompetenz des Chiropraktors; jedes kleine Gelenk wird abgetastet und in seiner Funktion geprüft. Je nach Befund setzt der Chiropraktor eine ma- nuelle Behandlung ein, entweder durch spezifische Mo- bilisation oder Manipulation. Bei den Säuglingen wird eine segmentale Mobilisation durchgeführt, meistens an den unteren Kopfgelenken, die für die Drehbewe- gung des Kopfes verantwortlich sind. Die Mobilisation sollte nicht schmerzhaft sein, sie gelingt mit wenig Ro- tation bei den jungen Säuglingen, mit mehr Rotation bei Säuglingen ab 4 Monaten. Dies ist aber nicht strikt nach dem chronologischen Alter durchzuführen, son- dern je nach Tonus der kleinen Patienten. In der Regel sind 2–3 Behandlungen genug, um die Bewegungsein- schränkung zu beheben. Nebst der segmentalen Mobilisation berät der Chiro- praktor die Eltern bei der Lagerung und Handhabung des Kindes. Betreffend Plagiocephalus wird eine sichere Lagerung in der Nacht instruiert, um die flache Seite des Kopfes zu entlasten. Wir arbeiten eng mit Kinderphy- siotherapeuten zusammen und überweisen, wenn ge- nauere Lagerungen und / oder spezifische Handhabun- gen indiziert sind. Diskussion Mit viel Erfahrung und Geschick können bei einer ge- nauen Bewegungsprüfung der HWS die verschiedenen Typen des Tortikollis gut unterschieden werden; z. B. kann ein Kind mit einem posturalen Tortikollis den Kopf passiv gut bewegen, aktiv jedoch nicht. Der Schiefhals mit Beteiligung des M. sternocleidomastoideus und der Schiefhals mit arthrogener Ursache weisen beide einen eingeschränkten aktiven und passiven Bewegungsum- fang der HWS auf. Bei einem Schiefhals mit M. sterno- cleidomastoideus-Beteiligung imponiert in der Regel die eingeschränkte Lateralflexion mehr als die Rotation und beim arthrogenen Schiefhals die eingeschränkte Rota- tion mehr als die Lateralflexion. Bei Verdacht auf Ano- malien der HWS muss ein Röntgenbild verordnet wer- den. Der Chiropraktor kann, aufgrund seines genauen Wissens über die physiologischen Bewegungsmuster der verschiedenen Wirbelsäulenabschnitte, die Indika- tion zu einer Röntgenaufnahme stellen. Natürlich wer- den hier die Nachteile einer Strahlenbelastung im jun- gen Alter berücksichtigt. Nach Erfahrung der Autorin lassen die meisten Eltern ihren Säugling in vollem Vertrauen untersuchen und behandeln. Einige Eltern sind jedoch kritisch oder ha- ben Angst vor der Behandlung. Dies ist aber meist nach der Anamnese, Erklärung des Untersuchungs- und des Behandlungsvorgangs nicht mehr der Fall. Ziel der Be- handlung ist es, den Bewegungsumfang der HWS und das Bewegungsmuster des Säuglings zu normalisieren. Manchmal gelingt es mit Chiropraktik allein, manchmal muss interdisziplinär gearbeitet werden, therapeutisch mit einem Physiotherapeuten, diagnostisch mit einem Orthopäden oder Neurologen. Beim lagebedingten Plagiozephalus ist ein «runderer Kopf» ein weiteres Behandlungsziel. Die Rücksprache mit dem Kinderarzt ist obligat. Ausserdem ist die Dauer und Intensität der Behandlung wichtig. Mehr heisst nicht immer besser; eine Überforderung der Säuglinge und deren Eltern mit Therapien soll vermieden werden. Weiterhin ist die na- türliche Entwicklung des Säuglings in die Therapie mit einzubeziehen und zu berücksichtigen; dies ist eine der schönsten Seiten an der Arbeit mit den Säuglingen. Wann wird überwiesen Jedes Kind mit einer Dysfunktion der oberen HWS ge- hört meines Erachtens in die chiropraktische Behand- lung, ein kongenitaler Schiefhals mit Beteiligung des M. sternocleidomastoideus dagegen in die Physiothe- rapie. Diese Kinder werden trotzdem manchmal in die Chiropraktik geschickt, weil zusätzlich eine arthroge- ne Ursache vorhanden sein kann. Säuglinge mit einem posturalen Torticollis reagieren sehr gut auf chiroprakti- sche und / oder physiotherapeutische Behandlung. Kein Kind mit einem Torticollis ist zu jung für die Chiroprak- tik. Weiterhin ist kein Kind mit Torticollis «zu alt», um behandelt zu werden. Es gibt Hinweise, dass ein unbe- handelter Torticollis grobmotorische Probleme verursa- chen kann. Diese These muss aber noch bewiesen oder widerlegt werden. ■ REFERENZEN Coenen, W., Neurologische und manuelle Standarduntersuchung bei Säuglingen mit Bewegungsstörungen. 2004. Manuelle Medizin Au- gust, Volume 42 Hobaek Siegenthaler, M., Unresolved Congenital Torticollis and its Consequences: A Report of 2 Cases. 2017. Journal of Chiropraktik Medicine. Volume 15, Issue 3, Pages 257–261 Hobaek Siegenthaler, M., Pediatric Patients in Swiss Chiropractic Clin- ics: A Questionnaire Survey. 2017. JMPT. Volume 40, Issue 7, pag- es 477–485 Kinga, K., Tomczak, N., Paul R. Torticollis. Journal of Child Neurology. 2012. 28(3) 365–378 Abbildung 3: Segmentale Mobili- sation eines 6 Monate alten Säuglings mit eingeschränktem Bewegungsumfang in Linksrotation. Die Mutter hält die rechte Schulter nach unten und animiert die Linksdrehung des Kopfes. Die Chiroprak- torin mobilisiert das untere Kopfgelenk von rechts nach links.

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