KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2018

FORTB I LDUNG 01 / 2018 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 22 Natürliches Schädelwachstum Das Neurokranium des Neugeborenen besteht aus mehreren Knochenplatten, welche durch einen Streifen Bindegewebe, sogenannte Schädelnähte oder Suturen, voneinander getrennt werden (Abbildung 1). Diese Nähte gewähren eine gewisse Beweglichkeit des Schädels, zum Beispiel beim Geburtsvorgang, sie sind aber auch entscheidend für das Schädelwachstum in den ersten Lebensjahren. Dort, wo sich mehrere Suturen treffen, finden sich grössere bindegewebige Flächen, bekannt als Fontanellen. Das Schädelwachstum ist bei intakter Funktion der Schädelnähte ein Spiegelbild des Hirnwachstums. Das Hirnvolumen verdoppelt sich in den ersten 6 Lebensmonaten und hat dann bereits 50% des Endvolumens erreicht. Bis ins Alter von 2 Jahren hat sich seit Geburt die Hirnmasse verdreifacht und umfasst dann bereits ¾ der Masse eines Erwachsenenhirns. Ab dem Alter von ca. 4 Jahren überwiegt das modellierende Schädelwachstum das Flächenwachstum und im Alter von 10 Jahren ist kaum mehr eine Wachstumsaktivität in den Schädelnähten zu verzeichnen. Die Schädelnähte und Fontanellen verschliessen sich nach einem bestimmten Muster beziehungsweise in einer bestimmten Reihenfolge, der Zeitpunkt ist aber, insbesondere bei den Fontanellen, sehr variabel. Die vordere Fontanelle verschliesst sich in der Regel im Alter von 9–18 Monaten, die hintere im Alter von 3–6 Monaten. Eine nicht mehr als Lücke palpable Fontanelle impliziert nicht zwangsläufig, dass die beteiligten Schädelnähte schon vollständig ossifiziert sind. Einzig die Frontalnaht (Sutura metopica) verknöchert normalerweise bereits im Kindesalter. Ihr Verschluss beginnt im Alter von ca. 2 Monaten und ist im Alter von 2 Jahren abgeschlossen. Die übrigen grossen und im klinischen Alltag relevanten Nähte des Neurokraniums (Sagittalnaht, Koronarnaht, Lambdanaht) beginnen ihren Verschluss um das Alter von 2 Jahren und sind erst im mittleren Erwachsenenalter komplett ossär durchbaut. Ein vorzeitiger Verschluss einer oder mehrerer Schädelnähte führt zu einer mehr oder weniger ausgeprägten, charakteristischen Deformität des Schädels. Dieses Krankheitsbild wird in einem separaten Artikel besprochen (siehe: «Kraniosynostose»). Schädeldeformitäten In der Sprechstunde für Schädeldeformitäten werden Kinder mit sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern vorgestellt, siehe Tabelle 1. Die Liste ist nicht abschliessend, beinhaltet aber die am häufigsten gesehenen Entitäten. Untersuchungsmodalitäten Die meisten dieser Diagnosen können klinisch gestellt werden. Eine genaue Anamnese und ein präziser Status sind dazu unabdingbar. Tabelle 2 fasst die wichtigsten klinischen Angaben zusammen. Zusatzuntersuchungen können in gewissen Situationen sehr hilfreich sein, insbesondere, wenn es um einNatürliches Schädelwachstum, Schädeldeformitäten, Untersuchungsmodalitäten DR. MED. BENJAMIN LINIGER, OBERARZT KINDERCHIRURGISCHE UNIVERSITÄTS- KINDERKLINIK INSELSPITAL BERN, LEITENDER ARZT KINDERCHIRURGIE, SPITALZENTRUM BIEL Korrespondenzadresse: Benjamin.Liniger@insel.ch Abbildung 1: Schema Fontanellen und Suturen. ①Vordere Fontanelle ②Hintere Fontanelle ③ Frontalnaht (Sutura metopica) ④Koronarnaht ⑤ Sagittalnaht ⑥ Lambdanaht Während die Schädelbasis knorpelig angelegt ist und enchondral ossifiziert wird, findet im Bereich der Kalotte eine desmale Ossifikation statt. Dabei wird Bindegewebe direkt in Knochen umgewandelt. Als wichtiger Stimulus gilt das Hirnwachstum, welches eine Proliferation des Bindegewebes in den Suturen provoziert. Über mehrere Signalkaskaden zwischen Dura, Periost und Schädelnähten kommt es in der Folge zum Anbau von Knochen entlang der Schädelplatten. Dieses Flächenwachstum wird ergänzt durch ein modellierendes Wachstum, welches eine Anpassung der Form, insbesondere der Wölbung der einzelnen Knochen gewährleistet.

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