KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2018

01 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 21 nen Augen sehr viel erreichen und viel spätere Therapie vermeiden kann. Viele Eltern haben aber sowieso schon vor dem Erstkontakt mit mir als Kinderärztin einen Termin beim Osteopathen ausgemacht, häufig auf Anraten der Hebamme – zumindest in Bern scheint es irgendwie zum guten Ton dazuzugehören, mit seinem Kind mindestens einmal beim Osteopathen gewesen zu sein. Wenn ich Kinder mit Plagiocephalus sehe, der trotz Anleitung der Eltern immer ausgeprägter wird, schicke ich sie in der Regel zur Physiotherapie, wenn es selbst darunter nicht besser wird und der Befund mit 4 Monaten sehr ausgeprägt ist, zu Benjamin Liniger. RG: Im Heft wird ja die Helmtherapie intensiv besprochen. Die Studie von Blasimann et al. zeigt ja schöne Resultate. Sind diese aber relevant? BL: Die Auswertung der Daten zeigt, dass bei den untersuchten Kindern mit Plagiocephalus die Differenz der Schädeldiagonalen unter der Behandlung um 9 mm und bei den Kindern mit Brachycephalus der Schädelindex um 9 Prozentpunkte abgenommen hat. Nicht mehr und nicht weniger. Die Studie beweist nicht, dass die Orthese besser ist als die Natur oder irgendeine sonstige Therapie. Bei den höhergradigen Schädeldeformitäten wird dieser Nachweis nur sehr schwer zu erbringen sein, da eine genug grosse freiwillige oder – noch besser – zufällige Kontrollgruppe kaum zustande kommt. Bei den milden bis knapp mittelschweren Formen gehen wir davon aus, dass die Orthesenbehandlung mittel- bis langfristig keinen signifikanten Unterschied ausmacht, während sich bei den mittel- bis ganz schweren Formen erfahrungsgemäss die Schädelproportionen mit einer Orthese deutlicher harmonisieren als ohne. In der erwähnten Studie konnten wir sehen, welche Korrektur während einer Helmtherapie im Schnitt erwartet werden kann und dass diese Daten vergleichbar sind mit jenen, die in anderen Arbeiten veröffentlicht wur- den. RG: Und wie gehen wir mit den Kissen um, wenn uns die Eltern dazu kritisch fragen!? Ja, nicht nur im Sinne «nützt ned schads ned» – sondern vielleicht auch im Sinn der Wirtschaftlichkeit? BL: Grundsätzlich empfehle ich keine Loch- oder sonstige Spezialkissen, insbesondere deshalb, weil die Kinder mit diesen Kissen ihren Kopf deutlich schlechter bewegen können als ohne, und das ist mittel- bis langfristig kontraproduktiv. Nicht selten berichten mir Eltern aber, dass sich die Schädelform deutlich verbessert habe, seit ein solches Kissen im Einsatz ist. In diesen Fällen empfehle ich, das Kissen dosiert einzusetzen, zum Beispiel nur im Kinderwagen oder nur tagsüber. KW: Ich empfehle ebenfalls keine Kissen, allerdings gilt auch hier, dass die Eltern manchmal von sich aus schon ein solches angeschafft haben. Ich höre aber auch oft, dass sie mit dem Kissen nicht gut zurechtkommen, weil das Kind den Kopf trotzdem legt, wie es will. In meinen Augen sind andere Massnahmen entscheidender, von einem stundenweisen Einsatz eines solchen Kissens rate ich aber auch nicht explizit ab. RG: Ein Punkt, welcher mir noch fehlt, ist die grosse Verunsicherung der Eltern. Wie geht Ihr damit um? Sie ist ja – wenn ich das richtig sehe – der eigentliche Grund für den grossen Aktionismus um zum Teil harmlose Schädelveränderungen! BL: Das Beruhigen der Eltern und Eingehen auf deren Verunsicherung ist – nebst der Präventionsarbeit – eine der wichtigsten unserer Aufgaben. Die meisten Kinder brauchen keine spezifische Therapie sondern einen natürlichen Umgang nach gesundem Menschenverstand, allenfalls mit einem speziellen Augenmerk auf eine ausgeglichene Stimulation und Lagerung. So verlassen denn auch deutlich mehr Eltern meine Sprechstunde mit guten Ratschlägen und beruhigenden Worten in der Tasche als mit Physiotherapie- und Helmverordnungen. KW: Die grosse Verunsicherung der Eltern ist ja unser täglich Brot. Prinzipiell gehe ich da nicht anders vor als bei der grossen Verunsicherung der Eltern bezüglich Fieber, Husten oder Durchfall: die Eltern aufklären, erläutern, worauf sie achten müssen, den natürlichen Verlauf erklären und sie beruhigen. Wenn Eltern völlig fixiert darauf sind, eine zweite Meinung durch einen Experten zu erhalten (was ich aber nur sehr selten erlebe), kann das selten auch mal eine Indikation sein, sie zu Benjamin Liniger in die Schädelsprechstunde zu überweisen, obwohl ich keine Indikation für einen Helm sehe. Aber bevor sich jemand ein halbes Leben lang fragt, ob er nun etwas verpasst hat, hilft es manchmal, einfach das Gleiche noch mal aus einem anderen Mund zu hören. RG: Vielen Dank für Eure grosse Arbeit, uns ein tolles Themenheft zu gestalten. ■ Die meisten Kinder brauchen keine spezifische Therapie sondern einen natürlichen Umgang nach gesundem Menschenverstand, allenfalls mit einem speziellen Augenmerk auf eine ausgeglichene Stimulation und Lagerung.

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