01 / 2018 FORTB I LDUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 17 Zur Vereinfachung wird im ganzen Artikel nur die männliche Form verwendet. Frauen sind selbstverständlich ebenso gemeint. Die drei Work Force Studien aus den Jahren 2005, 2010 und 2015 konnten aufzeigen, dass sich in der Schweiz ein zunehmender Mangel an Hausärzten abzeichnet [1]. Leider wurden in allen drei Studien die Kinderärzte nicht berücksichtigt. Ziel der vorliegenden Studie (welche als Dissertationsarbeit von Frau Bettina Zwyssig durchgeführt wurde) war, aktuelle Daten zu Arbeitszeit, Arbeitsgewohnheit, Plänen, Motivation wie auch zu aktuellen und zukünftigen Arbeitsplänen der zurzeit aktiven Kinder- und Jugendärzte zu erhalten. Eine solche Befragung bei in der Praxis tätigen Pädiatern wurde für die Schweiz erstmalig durchgeführt. Methodologisch handelt es sich bei der Work Force Studie Kinderarztmedizin 2016 um eine Querschnittstudie, für welche im Januar 2017 insgesamt 499 Fragebogen an Kinder- und Jugendärzte (Mitglieder des Berufsverbands «Kinderärzte Schweiz») hauptsächlich aus der deutschsprachigen Schweiz verschickt wurden. Als Grundlage für den Fragebogen diente die Vorlage aus der Work Force Studie 2015 für die Erwachsenen-Hausarztmedizin. Die Datensammlung erfolgte während zwei Monaten und konnte nach dem Versand einer Mail- Erinnerung abgeschlossen werden. Die Rücklaufquote betrug 55,7% und lag damit deutlich über derjenigen der drei Work Force Studien in der Erwachsenenmedizin. Im Folgenden sollen die Hauptresultate kurz zusammengefasst und kommentiert werden: 1. Zunahme des Frauenanteils, alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede Von den 278 antwortenden Kinder- und Jugendärzten zeigte sich ein klarer Trend zugunsten des Frauenanteils (56% vs. 44%, p<0,0001). Die Frauen waren im Durchschnitt jünger als die Männer (47,5 vs. 54,1 Jahre) bei einem mittleren Alter aller Teilnehmenden von 50,4 (range 31–80 Jahre) Jahren. Bei den über 50-Jährigen war der Männeranteil signifikant (p<0,001) höher als der Frauenanteil. Es ist bekannt, dass seit 2005 mehr Frauen als Männer das Medizinstudium abschliessen [2]. Diese Entwicklung basiert unter anderem auf den Wertvorstellungen der jungen Ärztegeneration, auch Millenials genannt, welche die persönliche Weiterentwicklung gegenüber finanziellen Anreizen vorzieht und Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeiten und -bedingungen sowie die Möglichkeit, Überstunden zu kompensieren hoch gewich- tet [3]. Auch die Arbeitsumgebung ist für die junge Generation von entscheidender Bedeutung. Es zeigte sich, dass Frauen signifikant häufiger in Doppel- (35%) oder Gruppenpraxen (52%) arbeiten verglichen mit ihren männlichen Kollegen (p<0,001). Studienteilnehmer unter 50 Jahren arbeiten zudem signifikant häufiger (p<0,001) in Doppel- oder Gruppenpraxen als ihre Kollegen oder Kolleginnen jenseits des 50. Altersjahrs. Die Bevorzugung von Doppel- und Gruppenpraxen lässt sich am wahrscheinlichsten dadurch erklären, dass Frauen und jüngere Teilnehmer in Teilpensen arbeiten möchten, was am ehesten durch die familiären Umstände (z.B. Kinderbetreuung) oder dem Wunsch nach Verbesserung der Work-Life-Balance erklärbar ist. Eine kinderärztliche Tätigkeit in Teilpensen (z.B. 50%) ist grundsätzlich nur in Doppel- oder Gruppenpraxen möglich. Ein Teilzeitpensum in einer Einzelpraxis ist mit erheblichem organisatorischem Aufwand verbunden. Der Trend zur Arbeit in Doppel- und Gruppenpraxen deckt sich mit der Entwicklung in der Erwachsenenmedizin, in welcher die Zahl der Einzelpraxen zwischen 2005 und 2015 um einen Drittel zurückgegangen ist, währenddem sich die Zahl der Gruppenpraxen fast verdreifacht hat [1]. Es ist anzunehmen, dass der Frauenanteil in den nächsten 10 Jahren im Bereich Kinder- und Jugendmedizin weiter ansteigen wird. Für die Planung der zukünftigen kinderärztlichen Versorgung in der Schweiz wie auch für standespolitische Diskussionen wird es deswegen wichtig sein, den Trend zur Zunahme des Frauenanteils weiterhin genau zu beobachten. Der vermehrte Frauenanteil in der Kinderarztmedizin (wie auch in der Erwachsenenmedizin) hat somit Folgen für künftige politische Entscheide und im Hinblick auf die Ausbildung des Nachwuchses. Vor allem in der Grundversorgung muss der Arztberuf weiterhin attraktiv bleiben respektive verbessert und den Interessen der neuen, jungen Generation («Millennials») angepasst werden. Es wäre wünschenswert, dass vonseiten der Kinderspitäler eine grössere Bereitschaft signalisiert würde, Teilzeitausbildungsstellen zu unterstützen und mehr Weiterbildungsplätze geschaffen würden, um die entstehenden Work Force Lücken bei der in Teilzeitpensum arbeitenden Kinderärzten auszugleichen. Deshalb ist es auch wichtig, die Zukunft der Kinderarztmedizin (standes-) politisch und auch finanziell (z.B. via Tarmed) zu fördern, damit in der nahen und fernen Zukunft weiterhin eine pädiatrische Grundversorgung auf Topniveau gesichert werden kann. Work Force Kinderarztmedizin in der Schweiz 2016 DR. MED. BETTINA ZWYSSIG, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, PRAXISPÄDIATERIN, STANS PROF. DR. MED. ANDREAS ZELLER, MSC, FACHARZT FÜR ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN FMH, LEITER DES UNIVERSITÄREN ZENTRUMS FÜR HAUSARZTMEDIZIN BEIDER BASEL, LIESTAL Korrespondenzadresse: bettina.zwyssig@hin.ch Erfassung der kinderärztlichen Versorgungssituation in der Deutschschweiz
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