K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 48 FÜR S I E GELESEN 04 / 2017 Fragmente eines Tabus DR. MED. STEFANIE GISSLER WYSS, NEUENDORF, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION Korrespondenzadresse: s.gissler@hin.ch Ruths Draths, Kinder- und Jugendgynäkologin in Sursee und langjährige Leiterin der Kinder- und Jugendgynäkologie des Kantonsspitals Luzern, hat ein neues Buch herausgegeben. In «Fragmente eines Tabus – Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen – Über den sensiblen Umgang mit Betroffenen» erzählt sie 13 Geschichten von Kindern und Jugendlichen aus dem Bereich des Kinderschutzes. Zusammen mit der Zürcher Künstlerin und Psychotherapeutin Eve Stockhammer, welche das Buch mit ihren Bildern illustriert hat, ist ein Bild-Text-Buch entstanden, das auch visuell tiefe Eindrücke hinterlässt. Anhand der 13 Fallvignetten werden die Abläufe in einem Missbrauchsfall aus Sicht der Jugendgynäkologin dargestellt, aber es wird auch den Betroffenen, welche den Mut hatten, darüber zu sprechen, ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Die Wichtigkeit der feinfühligen körperlichen Untersuchung und ihre Durchführung werden erläutert. Diese darf nur mit Einwilligung des Opfers stattfinden, um im therapeutischen Verarbeitungsprozess nicht zusätzlich traumatisierend zu wirken. Jeder Geschichte ist ein Theorieteil angefügt zu medizinischen, jugendgynäkologischen, juristisch-forensischen aber auch zu interkulturellen und gesellschaftlichen Aspekten der Kinderschutzarbeit bei sexuellem Missbrauch. Ich muss gestehen, dass ich einige Zeit brauchte, um das Buch zu lesen. Die Geschichten sind Tief berührend und einfühlsam geschrieben. Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und den Mädchen oder Jugendlichen, welches meist Zeit brauchte, um zu entstehen, ist in den Texten spürbar. Die Gefühle der Autorin gingen mir ebenso nah wie die traurigen und belastenden Schilderungen der Betroffenen. Immer wieder musste ich eine Pause machen, um zu verdauen. Wie kann so etwas vor unseren Augen passieren? Wie viele Male habe ich in meiner Praxis eine solche Situation z. B. bei psychosomatischen Beschwerden bisher nicht erkannt? Diese und andere Fragen haben mich noch lange nach der Lektüre beschäftigt. Francesca Navratil hofft in ihrem Vorwort, dass das Gelesene und Gesehene in diesem wertvollen Kinderschutzbuch weiter dazu beiträgt, das immer noch bestehende Tabu des sexuellen Missbrauchs zu brechen. Ich kann dieses Buch allen empfehlen, denen das Wohl der Kinder und Jugendlichen am Herzen liegt. Nur durch Hinschauen kann geholfen werden. ■ Du und ich haben Diabetes «Mama, was ist Diabetes?» Erstaunt schaue ich Moritz an. Wie kommt mein elfjähriger Sohn auf so eine Frage? Da sehe ich das Buch in seinen Händen: «Du und ich haben Diabetes». Er muss es auf meinem Bürotisch gesehen haben, druckfrisch, noch eingepackt. Sein Interesse ist geweckt und er lässt nicht locker, bis ich mich mit ihm hinsetze und – trotz vorgerückter Stunde – das ganze Buch mit ihm durcharbeite. Wir lernen in dem Buch Max kennen. Max hat Diabetes. Er führt uns durch die Kapitel des Buches, erzählt seine Geschichte und die anderer Kinder mit Diabetes, erklärt Physiologie und Pathophysiologie, Therapieformen und Insulinarten. Er weiss viel über Ernährung und Kohlehydrate und beschreibt uns Hypo- und Hyperglykämien. Und das Wichtigste: Er nimmt uns mit in seinen Alltag und motiviert die lesenden Patienten immer wieder, nicht aufzugeben, dranzubleiben. Mit Max zusammen scheint es einfacher, das Leben mit einem neu entdeckten Diabetes zu meistern. Das Buch ist als Comic gestaltet mit sehr ansprechenden Zeichnungen und schöner Farbgebung. Im gleichen Stil sind auch die medizinischen Fakten gehalten, die überall eingeschoben sind. Am Schluss jedes Kapitels kann der Lesende und Lernende anhand von gezielten Fragen sein Wissen kontrollieren und mit eigenen Worten die Fakten der letzten paar Seiten zusammenfassen. Dieser quasi aktive Austausch mit Max hat Moritz besonders interessiert, und er hat mit grossem Eifer versucht, all die Fragen zu beantworten, hat zurückgeblättert, nachgefragt, Begriffe nachgeschlagen im Glossar am Ende des Buches und intensiv mit mir diskutiert. Kurz: Moritz war begeistert von diesem Buch – und ich auch! Der Comicband basiert auf dem 1980 und 1989 erschienen Titel «Du und ich sind zuckerkrank» von Zuppinger, Gambon und Götz. Primus-E. Mullis hat diese Neuauflage initiiert mit der Idee und dem Wunsch, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, den Diabetes zu verstehen und in ihren Alltag zu integrieren. Leider ist er vor der Drucklegung verstorben, sodass er nicht mehr miterleben kann, wie viele kleine und grössere Patienten die Frage «Was ist Diabetes?» nach der Lektüre dieses Buches sicher und kompetent beantworten können. So wie Max – und nun auch Moritz. ■ DR. MED. NADIA SAUTER OES, WINTERTHUR, MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION Korrespondenzadresse: nadia.sauter@oes.ch Primus-E. Mullis, Andreas Bieri, Kathrin Pipczynski, Theres Zürcher, Illustrationen Christian Götz, Quentin Perrenoud Karger Verlag, ISBN 978-3-318-06029-4 Ruth Draths, Hogrefe Verlag, ISBN: 9783456857107
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