K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 26 JAHRESTAGUNG 2017 – WORKSHOPS 04 / 2017 George hat uns in gewohnt kompetenter Manier das neuste (Un-)Wissen über den bisher am wenigsten erforschten Teil unseres Körpers zusammengefasst. Das Mikrobiom (Mb) ist in aller Munde resp. in aller Darm und zwar in jedem lebenslang einzigartig zusammengesetzt (wie ein Fingerabdruck!). Es umfasst die Gesamtheit aller Darmbakterien, die mehr genetisches Material darstellen als all unsere Körperzellen zusammen, die Variabilität ist dabei enorm gross. Das Mb wird durch die Genetik, Geburtsart (Sectio/vaginal), Ernährung (Stillen!), Medikamente (Antibiotika), Lebensstil und Hygiene beeinflusst und bildet sich bis zum 3. Lebensjahr komplett aus. Es beeinflusst natürlich unsere Verdauung, aber auch direkt oder indirekt Nervensystem/Gehirn (Brain-Gut-Axis), Immunsystem, Körpergewicht und diverse (Autoimmun-)Krankheiten wie Diabetes I, Asthma, entzündliche Darmerkrankungen, Migräne etc. Durch Stuhltransplantationen kann man aus Dicken Dünne und aus Dünnen Dicke machen nota bene bei gleicher Kalorienmenge pro Tag. Dies macht klar, warum unsere «Anti-Adipositas-Programme» wohl so wenig erfolgreich sind. Therapieresistente M.CrohnPatienten konnten durch wiederholte Stuhltransplantationen von gesunden Spendern zu ca 80% «geheilt» werden. Die Menge, Häufigkeit und v.a. der individuell «ideale Spender» sind noch in Erforschung. Bemerkenswert ist, dass sich die persönliche Darmflora 2–3 Wochen nach Transplantation wieder etabliert! Was uns durch Geburt, Stillen und ev. Antibiotikagebrauch in den ersten Lebensjahren mitgegeben oder gestört wird, begleitet uns das ganze Leben! Think about, wenn Ihr in Zukunft Antibiotika verordnet… Mit Prä- und Probiotika in Nahrungsmitteln und Medikamenten wird versucht, das Mb freundlich und friedlich zu stimmen – präventiv, aber auch therapeutisch. Bei (unvermeidbarem) AB-Gebrauch kann es Sinn machen, pro Tag 4 Sachets Perenterol (sic!) zuzugeben (nicht an FG, NG und Immunkompromittierte). Lactobazillus reuteri DSM 17938 – und anscheinend nur dieser – (z. B. in Bigaia®5Tr/Tag für jede Altersstufe) hat laut diversen Studien einen signifikant positiven Effekt bei Säuglingskoliken, Reizdarmsyndrom und chronischen funktionellen Bauchschmerzen (sind die nicht eher organisch bei fehlgeleitetem oder -ernährtem Mb?). Interessant dabei, dass sich auch 38% unter Plazebo verbessern und – Einwand von Cyril Lüdin – dass der emotionelle und Beziehungsaspekt gänzlich ausser Acht gelassen wird. Durch Bondinganleitung mit intensivem Haut-zu-Haut-Kontakt komme er da auf bessere Ergebnisse… aber für die unter uns, die das nicht können, ist es sicher ein guter Pfeil im Therapieköcher, Flatulex sieht dagegen blass aus… Bei individuellem und einzigartigem Mb bräuchte natürlich jeder auch seine individuelle Ernährung, die auf das persönliche Mb abgestimmt ist – nicht ganz einfach bei den Versuchen der Nahrungsmittelindustrie, uns zum Konsum ihrer Produkte zu verführen und nicht mehr auf unseren Bauch bzw. unser Mb zu hören. Wahrscheinlich liegt hier die Erfolgsquote der hunderttausend verschiedenen Diäten, die die eine oder andere – für die Schulmedizin – unheilbare Krankheit positiv beeinflussen (heilen?) resp. das Wohlbefinden relevant verbessern können. Bis man nur die Richtige gefunden hat… In den nächsten Jahren werden wir sicher noch sehr viel Neues dazu hören und evtl. unser Denken und Handeln komplett verändern müssen. Buchempfehlungen: G. Enders «Darm mit Charme», Martin J. Blaser «Missing Microbes» H.M. Enzensberger: aus «Scheisse»: «…Von weicher Beschaffenheit und eigentümlich gewaltlos ist sie von allen Werken des Menschen vermutlich das friedlichste…» ■ REFERENT: DR. MED. GEORGE MARX, FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH UND PÄDIATRISCHE GASTROENTEROLOGIE, LEITENDER ARZT DER PÄDIATRISCHEN GASTROENTEROLOGIE UND ERNÄHRUNG, OSTSCHWEIZER KINDERSPITAL, ST. GALLEN, UND KONSILIARARZT PÄDIATRISCHE GASTROENTEROLOGIE, STADTSPITAL TRIEMLI, ZÜRICH MODERATION: DR. MED. MORENO MALOSTI, FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATER IN JONA AUTOR: DR. MED. CHRISTIAN KNOLL, FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATER IN BIEL KORRESPONDENZADRESSE: chknoll@sunrise.ch Masterclass Gastroenterologie: Wie beeinflusst das Mikrobiom die Entstehung von funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter?
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